© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/14 / 29. August 2014

Kleinverlag mit großer Güte
Jubiläum: Matthes & Seitz feiert zehnjähriges Bestehen
Sebastian Hennig

Kernstück des Verlags Matthes & Seitz waren die dunklen Seiten des Surrealismus, (Artaud, Bataille, Leiris) und des Marquis de Sade. Otto Weiningers „Geschlecht und Charakter“ wurde ebenso nachgedruckt wie die Schriften Rahel Varnhagens oder „Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes“ des Leipziger Nervenarztes Möbius, der darin letztere als ein „Schwatz-Genie“ abkanzelt. Ein Programm, kurzweilig bis zur Verwirrung.

Im Almanach „Der Pfahl“ erschien unter anderem Botho Strauss’ „Anschwellender Bocksgesang“. Gerd Bergfleth äußerte seine „Kritik der palavernden Aufklärung“. Im Jahr der Wiedervereinigung veröffentlichte Hans-Jürgen Syberberg „Vom Unglück und Glück der Kunst in Deutschland nach dem letzten Kriege“. Daß der Verlag das Stigma reaktionärer Dunkelmänner aufgeprägt bekam, hat den scheulosen Axel Matthes nie beirrt. Seine kokette Äußerung dagegen, ein Bestseller würde ihm signalisieren, etwas falsch gemacht zu haben, führte ins Aus. Als Buchhalter betrat Andreas Rötzer das untergehende Verlagsschiff. Eine Übernahme durch Suhrkamp scheiterte mit dem Tod Unselds. 2002 brachte das vorläufige Ende.

Im Einzelhandel nicht präsent

Vor zehn Jahren gründete Rötzer „Matthes & Seitz Berlin“ neu. Inzwischen sind weder Strauss noch Syberberg unter den Autoren zu finden. Bergfleth bleibt freilich als Betreuer der Bataille-Ausgabe unentbehrlich. Der Verlag legt mehr Wert auf Design, produziert mit der Reihe „Naturkunden“ eine Art Coffee Table Book mit viel Text. Das bibliophile Vorzeigeobjekt ist vielleicht ein Rettungsfloß des prekären Verlags. Insgesamt ist der keineswegs stromlinienförmig geworden. Sein Programm ist uneinheitlich und doch in seiner Güte stichhaltig. Essays werden zum Herunterladen digital angeboten. Der Verleger bemerkte neulich, mit dem dämonisierten Internet-Monopolisten besser zurechtzukommen als mit den Einzelhandelsketten, in denen er nicht präsent sei.

Die Zahl der Neuerscheinungen hat sich inzwischen vervierfacht. Jedes notwendige und doch unrentable Buch braucht ökonomischen Windschatten durch Verkaufserfolge, die wiederum nicht das Verlagsprofil preisgeben dürfen, erklärt der Verleger die Expansion. Im Literarischen Colloquium am Berliner Wannsee wurde vergangenen Sonnabend das geglückte erste Jahrzehnt der neuen Epoche gefeiert.

www.matthes-seitz-berlin.de

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