© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/14 / 29. August 2014

Vernichtungsschlag gegen Preußens Herz
Vor siebzig Jahren löschten britische Bomber die historische Innenstadt Königsbergs aus
Dirk Glaser

Der angelsächsische Luftkrieg gegen das Großdeutsche Reich scheint sich auf das Territorium der heutigen Bundesrepublik beschränkt zu haben. Diesen Schluß legen nicht nur den Bombenterror gegen Zivilisten cum grano salis rechtfertigende Elaborate von Autoren wie Rolf-Dieter Müller („Der Bombenkrieg 1939–1945“, 2004), sondern auch Arbeiten nonkonformer Historiker wie Horst Boog und Jörg Friedrich nahe. Denn in Boogs magistraler Darstellung („Strategischer Luftkrieg in Europa und Reichsluftverteidigung 1943/44“, 2001) kommen ostdeutsche Städte kaum vor. Ebensowenig in Friedrichs Bestseller „Der Brand“ (2002).

Ostdeutsche Städte waren kein „Reichsluftschutzkeller“

Das sind blinde Flecken, die sich vielleicht aus der Wucht der Angriffe auf das Ruhrgebiet, auf mitteldeutsche Metropolen wie Leipzig oder mit dem Bombenterror auf Hamburg und in Dresden und auf die furchtbaren Opfer in Berlin, Pforzheim oder Darmstadt erklären. Vergleichbare Verheerungen hatten die Städte des Ostens tatsächlich nicht aufzuweisen. Was nicht heißt, daß sich die Bevölkerung zwischen Stettin und Memel im ungefährdeten „Reichsluftschutzkeller“ befand. Gerade Pommerns Hauptstadt mit dem größten deutschen Ostseehafen wurde von Briten und US-Amerikanern mehrfach heimgesucht. 1943 gerieten Danzig und Marienburg ins Visier westalliierter Bomber. Unmittelbar nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion setzte der erste Angriff der sowjetischen Luftwaffe auf Königsberg ein. Das war nicht mehr als ein Nadelstich, aber ab 1943 luden Stalins Bomber regelmäßiger ihre Last über Königsberg, über Gumbinnen, Insterburg, Tilsit und Memel ab.

Das kostete Menschenleben, erschütterte indes bis zum Sommer 1944 nicht das Bewußtsein der Ostpreußen, weiterhin verhältnismäßig privilegiert fast friedensmäßig zu leben. Das Königsberger Luftgaukommando schien die Sorglosigkeit zu teilen, denn weder wurden die Jägerstaffeln noch die Flakbatterien verstärkt.

Der erste Angriff, von der Royal Air Force mit 170 viermotorigen Lancaster-Bombern ausgeführt in der Nacht vom 26. zum 27. August 1944, traf daher eine wehrlose Stadt. Die meisten Schäden verzeichnete der Nordosten Königsbergs. Eine breite Schneise der Verwüstung reichte vom Villenvorort Maraunenhof bis an die Peripherie des Zentrums. Militärische Anlagen blieben, abgesehen von ein paar Kasernen an der Cranzer Allee, unversehrt. Offenkundig war Königsberg weder als Garnison noch als Lazarettstandort oder als ein für die Ostfront wichtiger Verkehrsknotenpunkt für Arthur Harris’ RAF ein interessantes Ziel.

Gewißheit darüber, daß es vielmehr darum ging, Königsberg als geistig-kulturelles Zentrum und steinernes Symbol des alten Preußen auszulöschen, brachte dann vom 29. auf den 30. August der zweite Angriff. Wieder erreichten knapp 200 Lancaster den Königsberger Luftraum um ein Uhr nachts. Diesmal bestand ihre Hauptwaffe jedoch aus 40.000 kleinen, nur 13 Kilo schweren Flammstrahlbomben, die den historischen Stadtkern einäschern sollten. Es brauchte kaum fünf Stunden, um dieses teuflische Vorhaben zu realisieren. In der Morgendämmerung standen auf dem Kneiphof nur noch Ruinen, darunter der Dom, die alte Universität, Kants Wirkungsstätte, die seit langem Stadtarchiv und Stadtbücherei beherbergte, sowie das spätbarocke Kneiphöfsche Rathaus.

Bomber sollten kulturelle Substanz vernichten

Unter den ältesten Gebäuden hatte es das die Altstadt dominierende Königsberger Schloß am schwersten mitgenommen. Zerstört waren alle historisch bedeutenden Gotteshäuser, die wertvollsten Zeugen Königsberger Bürgerkultur, Schulen, Buchhandlungen, Museen. Ebenso das malerische Speicherviertel, die „Lastadie“ am Pregelufer. Den Paradeplatz umgaben nun die ausgebrannte neue Universität, die Ruinen der größten Buchhandlung Europas (Gräfe und Unzer) und des Opernhauses. Auch in den dicht bebauten östlichen Stadtteilen Sackheim und Löbenicht säumten lediglich Mauerreste die von Trümmern übersäten Gassen und Straßen.

Zwischen vier- und fünftausend Menschen starben in beiden Angriffsnächten, 200.000 Königsberger galten danach als „ausgebombt“, mithin obdachlos. Die britischen Luftkriegsstrategen werteten dies jedoch nur als glückliche Nebeneffekte der Umsetzung ihres Hauptziels, mit der alten Krönungsstadt Preußens ein Herzstück kultureller urbaner Substanz Deutschlands zu vernichten.

Foto: Ruinen auf der Königsberger Dominsel Ende August 1944: Steinernes Symbol des alten Preußen

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