© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/14 / 05. September 2014

Stanislaw der Einzige
Sachsen: Nur die Alternative für Deutschland setzt mit ihrem Erfolg bei der Landtagswahl in Dresden einen Kontrapunkt zur Dominanz der Union
Paul Leonhard

Die ersten Schmähungen kamen am Wahlsonntag kurz nach 18 Uhr und waren auf allen sozialen Netzwerken zu lesen: Wie konnten die Sachsen der Alternative für Deutschland so viele Stimmen geben? Zu diesem Zeitpunkt waren gerade die ersten Prognosen veröffentlicht. Es sah so aus, als würde die NPD die Fünfprozenthürde meistern, die Bündnisgrünen an dieser scheitern und die AfD sogar mit einem Ergebnis im zweistelligen Bereich die SPD hinter sich lassen. In ländlichen Wahlkreisen lag die neue Partei bei mehr als 17 Prozent. Da waren aber die beiden sächsischen Metropolen Dresden und Leipzig noch nicht ausgezählt.

Die Hälfte der Sachsen blieb zu Hause

Am nächsten Morgen stimmte dann die Welt aus linker Sicht wieder: Die NPD gescheitert, die Bündnisgrünen im Landtag und das Ergebnis der AfD einstellig und damit nicht mehr ganz so überwältigend. Und Ministerpräsident und CDU-Landeschef Stanislaw Tillich, der zuvor eine mögliche Koalition mit der AfD nie völlig ausschließen wollte, hatte genau das nach anhaltendem Druck aus der Parteizentrale in Berlin getan und damit alle Spekulationen beendet, ob aus Sachsen neue Impulse für die Bundespolitik kommen könnten.

Die Ignoranz der Macht haben die Wähler im Freistaat noch nie so deutlich zu spüren bekommen, wie in den vergangenen Wochen. Ungehemmt warb die CDU auf Wahlplakaten für mehr Sicherheit und Bildung, als hätte sie bis dato ein knappes Vierteljahrhundert in der Oppostion gesessen und nicht ununterbrochen an den Hebeln der Macht. Die Union habe aus „der Regierungsverantwortung heraus Reformen“ gefordert, „gewissermaßen gegen sich selbst“, staunte nicht nur die Süddeutsche Zeitung angesichts dieser Unverfrorenheit.

Die Wähler reagierten, indem sie das demokratische System an sich in Frage stellten: Nicht einmal jeder zweite Berechtigte nahm sein Wahlrecht wahr. 50,8 Prozent blieben einfach zu Hause, weil ihnen die politischen Angebote oder das angebotene Personal der Parteien nicht behagten. Trotzdem gelang es der CDU, selbst für die eigenen Parteifreunde überraschend, (mit einer Ausnahme im Leipziger Süden) alle Direktmandate zu gewinnen. Das selbstgesteckte Ziel von 42 bis 43 Prozent erreichte Tillich aber nicht. Dabei hatte die Sachsen-Union zwischenzeitlich sogar von der erneuten Alleinherrschaft geträumt. Letztlich gab es 39,4 Prozent, so daß auch vom schlechtesten Wahlergebnis seit 1990 gesprochen werden kann.

Daß der bisherige liberale Koalitionspartner den Wiedereinzug in den Landtag erwartungsgemäß verpaßt hat, schmerzt die CDU wenig. Dadurch, daß der NPD genau 808 Stimmen zum Bezwingen der Fünfprozenthürde fehlten (siehe Artikel auf Seite 4), können die Christdemokraten jetzt entscheiden, ob sie künftig mit den Sozialdemokraten (12,4 Prozent) oder den Bündnisgrünen (5,7) regieren wollen.

Aus Sicht Tillichs, der seine ersten politischen Erfahrungen in der DDR als Funktionär der Block-CDU gemacht hat, wäre eine Koalition mit den Grünen unbequem: zu viele Unwägbarkeiten, zuviel Experiment, zuviel Basisdemokratie. Seine Sozialdemokraten dagegen kennt er aus seiner ersten Amtszeit als Ministerpräsident. Mit diesen hat er in der schwarz-roten Koalition gute Erfahrungen gemacht. Schlitzohrig überließ man seinerzeit den Sozialdemokraten die Ressorts Wirtschaft und Arbeit sowie Bildung und schlug gleichzeitig einen Sparkurs ein. So geriet die SPD trotz gut gemeinten Engagements unter die Räder und hatte es seitdem noch schwerer, sich im konservativen Sachsen gegen den starken linken Mitbewerber zu behaupten. Die Linkspartei wurde mit 18,9 Prozent zwar erneut zweitstärkste politische Kraft, schaffte es aber nicht, ein rot-rot-grünes Bündnis gegen die CDU zu schmieden.

Der SPD-Chef gibt sich selbstbewußt

Noch gibt sich der 40 Jahre alte SPD-Landeschef Martin Dulig selbstbewußt. Sollten dessen Forderungen aber Politikprofi Tillich zu anmaßend sein, kann dieser immer noch die grüne Karte ziehen. Die Bündnisgrünen sind zwar nach internen Machtkämpfen, bei denen der bürgerliche Flügel sich durchsetzen konnte, geschwächt und äußern nach außen wenig Interesse „zu regieren“, andererseits ist es für Spitzenkandidatin Antje Hermenau wohl die letzte Chance, in Sachsen als Ministerin politische Ideen auch einmal umsetzen zu können – und sei es mit christdemokratischer Genehmigung.

Frischer Wind ist in Sachsen nur von der AfD zu erwarten, die mit 14 Abgeordneten im Landtag vertreten sein wird. Landesvorsitzende Frauke Petry zeigt sich jedenfalls gespannt, wie „Herr Tillich auf unsere Themen eingehen wird“. Ihre Anhänger feierten auf der Wahlparty in einem Kellergewölbe an den Brühlschen Terrassen in Dresden den Erfolg in vollen Zügen. Nach Petrys Rückkehr aus den Fernsehstudios im nahen Landtagsgebäude endlich auch mit Bier.

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