© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/14 / 05. September 2014

Beiläufige Harmonie
Herausforderung Leben: Alexandre Powelz’ Spielfilmdebüt „Ohne Dich“
Sebastian Hennig

Alexandre Powelz hat einen Film gemacht, in den das Leben mit seiner ganzen Breitseite hineinpaßt, vor allem die Berggipfel und Wellenkämme der Leidenschaft. Wenn ein Film uns von Menschen berichtet, muß er glaubhaft ihre Affekte darstellen können. Der Mensch ist fast immer in Not.

„Ohne Dich“ zeigt die Lebensverläufe verschiedener Personen in besonderer Zuspitzung und wie sie sich, scheinbar zufällig, miteinander verflechten, wodurch aus den Individuen so etwas wie eine Gesellschaft entsteht. Gesellschaft ist nichts anderes als das Aufeinanderangewiesensein der Einzelnen. In dem Maße, in dem der Irrsinn der Selbstbestimmung zuschanden wird, tritt das Menschliche hervor. Das Innewerden der Schutzlosigkeit im Selbst und seiner Andersbedürftigkeit macht den Menschen aus.

Die Hebamme Rosa (Katja Riemann) ist dem Krebstod geweiht. Der Befund der Computertomographie läßt sie auf dem Gang des Krankenhauses in die Arme ihres Mannes, des Therapeuten Marcel Schlesinger (Charly Hübner) zusammenbrechen. Das anschleichende Sterben schürzt nur den Knoten der Verbundenheit zweier Menschen. Die Hilflosigkeit, die Ohnmacht rückt sie ganz in die Mitte ihres Seins. Es gibt auf einmal in diesem Leben keine Fixierung mehr auf Umstände, sondern nur noch Zuwendung. Neben den ungestümen Bekenntnissen des Leibes steht die Liebeserklärung des Therapeuten an seine Frau: „Du bist einfach überhaupt nicht neurotisch.“ Ihrer beider Berufsausübung ist sinnbildlich. Sie hilft dem Leben zum Licht. Er leitet die Todesgetriebenen aus ihrer Finsternis. Die maschinelle Prophetie von Rosas gewissen Sterbens ist nicht die grausamste Szene des Films.

Weit gräßlicher ist das seelische Erstorbensein jenes Mannes, der im Kreißsaal seine wehengeschüttelte Frau mit dem Handy umfuchtelt, um die Geburt seines Kindes digital zu reproduzieren. Wie so oft ist das Glück der Menschen ihr Fluch und aus ihrer Not kommt ihnen Segen. Deutlicher als ein Dutzend Essays voller Medienkritik ist so eine einzelne anschauliche Szene, die eher nebenbei mitgeteilt wird.

Der Regisseur verzichtet überhaupt auf die peinlichen Kunstgriffe pathetischer Eröffnungen und erklärender Dispute seiner Protagonisten. Der Zuschauer wird zu einem beiläufigen Beobachter. Er muß vom Verhalten der Personen auf die Vorgeschichte schließen und wird selbst langsam hineingewoben in das dichte Geheimnis der Konflikte und Begegnungen.

Zu Beginn kopulieren zwei Heranwachsende in der Gondel eines ruhenden Karussells. Im Dunkel ist davon weniger zu sehen als zu ahnen. Nach dem Akt rücken sie sich die Kleidung wieder zurecht und zünden sich sofort Zigaretten an. Motte (Helen Woigk) trieb die Neugierde dazu, den sich schwul gebenden Neo (Arne Gottschling) zu verführen. Dabei wurde ein Kind gezeugt.

Die sportliche Unbedachtheit hat also Bedenkenswertes gebracht. Doch auch Mottes Nöte werden nicht ausgebreitet. Es gibt für sie keine freie Entscheidung, kein Räsonieren. Das ist ein Glück für die Figur und für den Film. „Ohne Dich“ ist kein Problemfilm, der seine Figuren jeweils mit einer bestimmten Herausforderung identifiziert. Die Herausforderung ist das Leben selbst. Und so eindeutig wie das generelle Bekenntnis dazu ist, so unsinnig und widersprüchlich bleiben die einzelnen Handlungen. Banalitäten und Mißverständnisse stiften große Szenen. Die Putzfrau Layla (Meral Perin) beobachtet, wie der Therapeut Marcel Schlesinger eine Patientin auffordert, mit der Schußwaffe auf ihren Antipoden loszugehen. Die Araberin ist befeuert von der Nachglut einer einseitig gekündigten Liebschaft. So nimmt sie die Übung mit der Handfeuerwaffe verzweifelt ernst.

Rosas alter Vater Hans wird weinerlich und doch liebenswert von Rolf Hoppe dargestellt. Der 82jährige sitzt im Rollstuhl und schwärmt vom Totsein, ohne das Schicksal seiner Tochter zu ahnen. Die vermag es ihm nicht mitzuteilen.

Als Neo dann gegen Ende des Films bekennt: „Ich muß dir was sagen: Ich bin schwul“, erwidert Motte nur: „Ach was.“ Die natürlichen Eltern lächeln und bereden den Namen ihres Kindes. Powelz läßt die Ungewißheit bestehen. Die vorübergehende Übereinstimmung wird nicht zum Idyll verbreitert. Harmonie großartig gebieterisch ins Filmbild zu setzen, ist bisher nur Terrence Malick einigermaßen geglückt. Das Paradies entzieht sich dem technischen Zugriff.

„Ohne Dich“ ist zugleich Ausruf und Zuruf. Das Leben geht auch ohne dich weiter. Das empfindet sowohl die scheidende Rosa wie der bleibende Marcel. Die störrische Motte gelangt durch diese Erkenntnis zur Annahme ihrer Mutterschaft. Das Leben wird nicht sinnloser dadurch, daß die elementare Verlassenheit einen konkreten Grund zugewiesen bekommen hat. Es bekommt gerade seinen Sinn durch jene, die gegangen sind und dadurch, daß man selber ihnen folgen muß. Der heftige Spaß, den man haben kann, wandelt sich in heitere Gelassenheit. Zum Schluß lächeln sich zwei Menschen an, die wenig von ihrer Verbundenheit ahnen. Es sieht aus wie ein Irrtum, ist aber ein Zeichen des Schicksals.

Foto: Motte schminkt sich zum Ausgehen (Helen Woigk): Mit dem schwulen Freund ein Kind gezeugt

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