© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/14 / 05. September 2014

„Dann kriegt man das Grausen“
Debattenkultur: In Sozialnetzwerken verschärft sich der Ton, gleichzeitig wird aber auch erstmals eine Schweigespirale registriert
Ronald Gläser

In der Vorwoche sorgte der deutschsprachige Post eines Syrienkämpfers für Aufregung im Netz. Ein Islamist namens Firas Houidi schrieb: „Wie schön ist das Gefühl beim Einschlafen, wenn du weißt, daß unter dir im Keller 45 Gefangene Soldaten des Assad-Regimes sind, die nur darauf warten, daß ihnen ein Messer an den Hals gedrückt wird. Nach dem Verhör wird insha‘Allah geschlachtet.“ Dazu ein Smiley.

104 Facebook-Nutzer fanden den Eintrag gut und klickten den „Gefällt mir“-Knopf. Harter Tobak, der in sozialen Netzwerken verbreitet und gemocht wird. Der Schweizer Philosoph Georg Kohler klagt in einem Interview mit cash.ch über die mangelnde Liberalität vieler Internetnutzer: „Wenn man sich beispielsweise gewisse Foren anschaut und liest, wie Leute beschimpft werden, dann kriegt man das Grausen.“

Doch diese Radikalisierung einiger Nutzer, die Shitstorms und die bezahlten PR-Trolle, die Lügen im Internet verbreiten, sind nur ein Trend, der die Debattenkultur im Netz bedroht. Wissenschaftler verzeichnen nun erstmals eine weitere, teilweise zuwiderlaufende Entwicklung: nämlich die Schweigespirale, die bewirkt, daß Leute sich ungern über Dinge äußern, bei denen sie glauben, in der Minderheit zu sein.

Das amerikanische Pew-Institut hat festgestellt, daß sich dieses Prinzip aus der Offline-Welt auf Facebook und Twitter überträgt. In einer Umfrage wurden 1.801 Personen zur Snowden-Affäre befragt. 86 Prozent sagten, sie würden sich von Angesicht zu Angesicht dazu äußern. Aber nur 42 Prozent wollten das bei Twitter oder Facebook tun. Facebook-Nutzer, deren Freunde ihre Ansichten teilen, gaben doppelt so häufig an, darüber online zu diskutieren. Es liegt auf der Hand, daß viele der Befragten wegen der Überwachung des Netzes Angst vor entsprechenden NSA-kritischen Aussagen haben. Sollte sich diese Entwicklung auf andere Themenbereiche ausweiten, wäre dies eine Trendwende für die Debattenkultur im Internet.

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