© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/14 / 12. September 2014

„Die Menschen fühlen sich von uns bevormundet“
Diskussionspapier: Unter dem Eindruck des Abstiegs der FDP debattieren die Grünen über eine liberale Ausrichtung ihrer Partei
Petr Bystron

Nach der Pulverisierung der FDP bei der Europawahl sowie dem Ausscheiden der Liberalen aus dem Sächsischen Landtag schielen die Grünen offensichtlich nach ehemaligen FDP-Wählern. „Wir sollten die liberale Partei in Deutschland sein“, forderte Hessens grüner Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir.

Wie das gehen soll, wollen die Grünen Ende September in Berlin auf einem parteiinternen Kongreß diskutieren. Zur Einstimmung hat eine Gruppe grüner Politiker ein achtseitiges Papier als Diskussionsgrundlage verfaßt. Darin versuchen die Verfasser zu begründen, warum eine Partei, deren Identität bisher durch einen ökologischen Paternalismus geprägt war, nun plötzlich zur Fackelträgerin der Freiheit taugen soll.

Denn die Grünen-Politik stand bislang immer in einem Spannungsverhältnis zum freiheitlichen Liberalismus. Das liegt im Wesen der Sache. Für einen Liberalen ist die Freiheit das höchste Gut. Die Freiheit bedeutet: so zu leben, wie man es selbst will. Nicht jedoch, wie es einem jemand anderer vorschreibt. Die Grünen versuchen dagegen seit ihrer Gründung vor allem, den Menschen zu erklären, wie sie „richtig“ leben sollen. Beim „sauberen“ Strom angefangen, über die „ökologisch korrekte“ Art, sich fortzubewegen, bis hin zum „Veggie-Day“, also der „tierverträglichen“ Weise, sich zu ernähren. Gelingt den Grünen, die im Laufe der Zeit durchaus dazugelernt haben, nun der Schwenk von einer links-dogmatischen Partei zur Vorkämpferin bürgerlicher Freiheit?

Die ersten Absätze des Diskussionspapiers geben Hoffnung. Die Verfasser erkennen nämlich: „Die Menschen fühlten sich von uns bevormundet. Wir wurden als Partei wahrgenommen, die eine bestimmte Art zu leben von oben herab verordnen wollte.“ Damit soll nun Schluß sein. „Jeder soll seine eigene Idee des Lebens verwirklichen können.“ Von „größtmöglicher Selbstbestimmung“ ist die Rede sowie vom „Schutz individueller Rechte“. Doch schon auf Seite zwei schimmert es kräftig grün durch den gelben Anstrich: Denn die Selbstbestimmung soll „mit Verantwortung gegenüber der Globalgesellschaft und den kommenden Generationen in Einklang“ gebracht werden, heißt es mahnend.

Unter der Überschrift „Bedrohungen der Freiheit“ geht dann der grüne Fortschrittspessimismus mit Technikfeindlichkeit Hand in Hand: „Hochrisikotechnologien wie die Atomkraft machen uns mehrfach unfrei.“ Warum für die Grünen die Atomkraft die größte Bedrohung bürgerlicher Freiheit ist, offenbart sich im Kapitel „Rechtsstaat und Bürgerrechte“. Daß es mit seinen nur elf Zeilen das kürzeste Kapitel des ganzen Papiers ist, verwundert nicht. Die Partei tat sich nicht nur zu Zeiten ihres einstigen Übervaters Joschka Fischer, der in seiner Jugend auf Polizisten eingeprügelt hatte, schwer damit, die Arbeit der Sicherheitsbehörden zu würdigen. Folgerichtig heißt es an einer anderen Stelle: „Das Versprechen absoluter Sicherheit wird – ja muß sogar – uneingelöst bleiben.“ Das gelte zwar für die Gesellschaft insgesamt, jedoch nicht für „Gruppen, deren Freiheit durch Diskriminierung, Gewalt und soziale Not bedroht ist“.

Die eigene Klientel im Blick

Bei „Frauen, Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgendern und Intersexuellen, MigrantInnen oder Flüchtlingen“ ist die „Arbeit der Sicherheitsbehörden daran auszurichten, reale Bedrohungen und begründete Gefahren ernst zu nehmen“.

Dieses grüne Weltbild wird im Kapitel „Ein solidarisches Europa“ noch weiter ausgearbeitet: Diskriminierungen einzelner sozialer Gruppen durch nationale Regierungen müßten künftig stärker sanktioniert werden, fordern die Autoren. Hier wird deutlich, daß für die Grünen Europa vor allem ein Instrument darstellt, die Freiheit für ihre subkulturellen Zielgruppen zu sichern – notfalls mit Sanktionen. Gleichzeitig fordert das Papier unter dem Deckmantel der Freiheit die Umverteilung und Egalisierung: „Eine wirklich freie Gesellschaft ist eine inklusive Gesellschaft. Diese verlangt eine garantierte Grundausstattung für alle, eine existenzsichernde Grundsicherung und solidarische Sozialversicherungen wie Bürgerversicherung.“

Insgesamt liefert das Diskussionspapier eher Belege dafür, warum die Grünen noch Lichtjahre davon entfernt sind, eine liberale Partei zu sein, als für ein glaubhaftes liberales Profil dieser Partei. Dennoch: Die Autoren haben deutlich zu erkennen gegeben, daß sie ihrer Partei ein solches Profil unbedingt verpassen wollen.

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