© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/14 / 12. September 2014

Moskau die Stirn bieten
Nato-Manöver: Ob in der Oberpfalz, im Baltikum oder vor den Toren Kiews, unter Führung der USA spielt das Bündnis mit den Muskeln
Marc Zöllner

Die Bewohner des kleinen Örtchens Hohenfels in der bayrischen Oberpfalz staunten wohl nicht schlecht, als sie am 25. August in aller Herrgottsfrüh plötzlich durch Granatbeschuß aus den Betten geworfen wurden. Nur kurz darauf erklangen aus dem kaum einen Kilometer entfernten Wäldchen die Schüsse von Maschinengewehren, und ein Konvoi an militärischen Fahrzeugen rollte wie aus dem Nichts über die noch vom Nebel bedeckte Hügelkette. Was sich Hohenfels näherte, war das 20. Slowenische Infanterieregiment. Ihr Feind: Die Aranier, die den Ort schon seit Tagen belagerten.

„Unsere Mission war, die Stadt gegen die Aranier zu verteidigen und die Zivilbevölkerung vor ihnen zu schützen“, bestätigte später auch Aljosa Kaucevic, der Kommandeur der Slowenen. „Beides haben wir erfolgreich vollbracht.“

Nato-Staaten wollen Militärausgaben erhöhen

Doch die Aranier waren alles andere als real, und auch Hohenfels stand nie wirklich unter Belagerung. Unter dem Tarnnamen „Saber Junction 14“ luden die in der Oberpfalz stationierten US-Soldaten ihre slowenischen Kollegen ein, auf dem amerikanischen Truppenübungsplatz für den Ernstfall zu trainieren. Neben ihnen sind auch 700 Militärangehörige aus der Tschechei sowie eine Einheit der litauischen motorisierten Infanterie aktiv in die Simulation eingebunden.

Allein an der Operation „Saber Junction“, die noch bis Mitte September andauert, nehmen mehr als 5.800 Soldaten teil. Neben der Tschechei, Slowenien und den USA kommen sie aus den Nato-Staaten Bulgarien, Kanada, Kroatien, Estland, Italien, Litauen, Lettland, Polen, Rumänien, Slowenien und Großbritannien. Als assoziierte Bündnispartner beteiligen sich Truppen aus Bosnien-Herzegowina, Serbien und Schweden. Doch Hohenfels ist dabei nur einer von vielen Schauplätzen.

Zeitgleich fand Anfang September im Baltikum die Operation „Jarvelin II“ statt. In Litauen, Lettland und Estland übten dort rund 2.000 Soldaten aus neun Ländern die Boden- und Luftverteidigung der drei ehemaligen Sowjetrepubliken ein. Und im Bottnischen Meerbusen zwischen Finnland und Schweden, nur etwas nördlich der estnischen Küste gelegen, nahmen 56 Schiffe sowie insgesamt über 3.000 Soldaten der Deutschen Marine, den anrainenden Nachbarländern, den Vereinigten Staaten und der Türkei am Planspiel „Northern Coasts“ teil.

Die Stoßrichtungen der Nato-Operationen sind klar gekennzeichnet. „Wir senden hiermit die deutliche Botschaft an Rußland, daß seine Taten Konsequenzen nach sich ziehen werden“, verkündete Barack Obama vergangenen Freitag auf einem Treffen des transatlantischen Verteidigungsbündnisses im walisischen Newport.

Nur zwei Tage zuvor besuchte er als erster US-Präsident überhaupt die estnische Hauptstadt Tallinn, wo er zusammen mit Estlands Staatsoberhaupt Toomas Ilves dem Widerstand der baltischen Völker gegen die Sowjetbesatzung sowie dem Schicksal der „Waldbrüder“ gedachte; jenem 50.000 Köpfe zählenden baltischen Partisanenverband, der bis 1956 der Roten Armee bewaffnet Widerstand zu leisten wagte.

„Wir haben einen historischen Fortschritt hin zu einer Vision erreicht, die wir teilen“, so Obama in Tallinn. „Zu einem Europa, welches vereint, frei und in Frieden lebt. Doch diese Vision wird bedroht von Rußlands Aggression gegen die Ukraine. Länder wie Estland, Lettland und Litauen sind keine „postsowjetischen Territorien. Ihr seid souveräne, unabhängige Staaten mit dem Recht, eure eigenen Entscheidungen zu treffen“, betonte er in Hinblick auf die Nato-Osterweiterung.

Um diese Freiheiten zu verteidigen, gelte es jedoch vor allem aufzurüsten. „Sämtliche 28 Nato-Staaten haben vereinbart, ihre Verteidigungshaushalte zu erhöhen und zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts in unsere kollektive Sicherheit zu investieren“, erklärte Oba-ma zum Abschluß des Nato-Treffens. An seiner Zusage, die baltischen Staaten mit insgesamt rund 800 Millionen Euro beim Aufbau insbesondere ihrer Luftabwehrsysteme zu unterstützen, hielt er weiter fest.

Michael Fallon, Verteidigungsminister Großbritanniens, kündigte in diesem Kontex die Lieferung von 123 gebrauchten Schützenpanzern nach Lettland an. Gleichzeitig, so Fallon, habe das Königreich beim US-Rüstungsunternehmen General Dynamics 589 Panzer im Wert von 4,5 Milliarden Euro nachbestellt.

Für Deutschland käme solch Investition nahezu einer Verdopplung des derzeitigen Verteidigungsetats gleich. Doch was Berlin an finanziellen Mitteln und militärischem Engagement fehlt, macht es zumindest mit personeller Unterstützung wieder wett: An der jährlichen Operation „Rapid Trident“ (JF 21/14), die Mitte September wieder im Westen der Ukraine stattfinden soll und von der US-EUCOM-Basis in Stuttgart aus geleitet wird, beteiligt sich Deutschland erstmals mit logistischen Hilfstruppen sowie Stabspersonal.

Foto: „Saber Junction 14“-Manöver auf dem Truppenübungsplatz Hohenfels: US-Soldaten unterweisen einen estnischen Kameraden

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