© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/14 / 12. September 2014

Pankraz,
der Kalte Krieg und der eiskalte Kaffee

Für kalten Kaffee hält Pankraz das jetzt überall ausgebrochene Reden über einen neuen „Kalten Krieg“ zwischen Rußland und „dem Westen“. Kalten Kaffee mag man bekanntlich nicht aufwärmen, man kann ihn nur noch wegschütten. Und genauso verhält es sich mit dem Kalten Krieg. Er taugt weder als politologisches Mantra noch als heute einsatzfähiges politisches Kampf- und Anheizwort.

Als „Kalten Krieg“ markiert man üblicherweise die politische Ära zwischen 1949 und 1989, als einer der Sieger des Zweiten Weltkriegs, die kommunistische UdSSR, ihr politisches System inklusive der damit verbundenen Weltbeglückungslehren universal und mit allen Mitteln durchzusetzen versuchte, was bekanntlich spektakulär mißlang und zum Untergang der UdSSR führte. Ursache dafür waren aber nicht militärische Siege der „Gegenseite“, sondern Volksaufstände in den kommunistisch beherrschten Ländern, zuerst in der damaligen DDR, später auch anderswo und in Rußland selbst.

Das Wort Kalter Krieg stammt von George Orwell, dem Genie der Science-fiction-Literatur, der es (in einem Essay für den Londoner Observer unter dem Titel „Ihr und die Atombombe“) schon 1945 in Hinblick auf kommende Ereignisse prophetisch verwendete. Drei Jahre später erschien von Walter Lippmann das Buch „Der Kalte Krieg“, das den Begriff populär machte. Kalter Krieg – das war von nun an Synonym für die schier wahnwitzige atomare Aufrüstung der Siegermächte USA und UdSSR und ihre ständige Drohung, sich damit gegenseitig auszulöschen.

Von alledem ist heute so gut wie nichts übriggeblieben. Globale Atomkriege sind keine Option mehr, und der Kommunismus als gesellschaftliches Sehnsuchtsmodell ist derart blamiert, daß er einfach nicht mehr ernst zu nehmen ist, zuallerletzt in Rußland und den übrigen Ländern des einstigen „Ostblocks“.

Geschärft worden ist dort vielmehr das Bewußtsein für das, was Politik, Außenpolitik, eigentlich bedeutet: kein simples Brettspiel mit einigen ideologischen Vorgaben und juristisch-völkerrechtlichen „Gesetzen“, sondern ein hochkompliziertes Jonglieren mit vielen und zudem noch verschieden großen Bällen.

Mit anderen Worten: Wer auf Dauer erfolgreich Außenpolitik betreiben will, der muß zwangsläufig zum Geopolitiker werden. Es genügt nicht, sich pomphaft auf abstrakte Großideologien zu berufen und im übrigen überlegenes Gewaltpotential einzusetzen beziehungsweise vorzuzeigen. Es kommt darauf an, sich mit dem „Genius des Raumes“ (Rudolf Kjellén) zu verbünden, das heißt die jeweiligen regionalen Traditionen zu respektieren, die örtlichen Leidenschaften ernst zu nehmen, sich über seine eigene räumliche Kompetenz und Zuständigkeit illusionslos Klarheit zu verschaffen.

Was wir zur Zeit im Ukraine-Konflikt erleben, ist das Ende der „Politik vom Reißbrett“, die Rückkehr zur Politik, wie sie immer war und bleiben wird. Man erkennt allenthalben, daß sich selbst die in hehren Stunden ausgedachten „Grundrechte“ angesichts konkreter Raumlagen dauernd relativieren und sich manchmal sogar gegenseitig dramatisch ins Gehege kommen, wenn also beispielsweise die Lehre von der Unversehrtheit der Staaten und ihrer Grenzen hoffnungslos kollidiert mit der Lehre vom Selbstbestimmungsrecht der Völker.

Hatten seinerzeit die albanischen Kosovaren das Recht, sich vom serbischen Staatsverband zu separieren, und haben die Russen in der Ostukraine dieses Recht nicht? Welches Gesetz verbietet das eine und läßt das andere zu? Welches Gesetz erlaubte es der raumfremden Nato, Belgrad im Interesse der Albaner zu bombardieren, welches Gesetz verbietet es heute Rußland, seine Landsleute in ihrer seit Jahrhunderten angestammten Heimat, die heute zu einem künstlich zusammengezimmerten Oligarchenstaat gehört, mit Hilfsgütern und geistigem Zuspruch zu versorgen?

Auch und gerade heute, in Zeiten demokratischer Mitbestimmung und quasi totalem Informationszugang via Internet, entscheiden letztlich keine transzendenten Gesetzestafeln, sondern konkrete regionale Konstellationen, Verabredungen, Notwendigkeiten. Und es leuchtet ohne weiteres ein, daß die raumnahen Kräfte, also jene, die mit den Verabredungen unmittelbar zurechtkommen müssen, deren Alltag von ihnen geprägt wird, eine größere Berechtigung zu Aktion und Reaktion haben als die raumfremden. Keine Form von globaler Kommunikation und weltweit verflochtener Finanz- und Rohstoffpolitik kann das ändern.

Als US-Präsident James Monroe 1823 die nach ihm benannte Monroe-Doktrin verkündete, war das gewissermaßen die erste Großtat vorausschauender Geopolitik. Die USA würden sich, versicherte Monroe, nicht in europäische Händel einmischen; man verbitte sich aber auch, daß die Europäer sich in amerikanische einmischten und etwa Kolonien auf amerikanischem Territorium zu errichten versuchten. „Europa den Europäern“ sei die Devise, aber auch „Amerika den Amerikanern“.

Natürlich waren das Verlautbarungen und Parolen aus dem vorglobalistischen Zeitalter, sie hatten jedoch einen die Epochen übergreifenden Realitätskern, und die Völker wären besser gefahren, wenn sie genauer auf sie gehört hätten; die ganze Ära des Kolonialismus und der Weltkriege wäre möglicherweise verhindert worden. Die Schlußfolgerung für Geopolitiker kann da wohl nur lauten: Es muß bei der Lösung regionaler Konflikte eine Art Subsidiaritätsprinzip gelten, mit dem Grad der räumlichen Entfernung vom Konfliktherd als wichtigster Meßlatte

Weit vom Konfliktfall entfernte Mächte sollten sich in Geduld üben und im Falle, daß sie eingreifen, mit höchster Dezenz handeln. Sie vor allem müssen ihren Machthunger bezähmen und, nicht zuletzt, mediale Zurückhaltung üben. Das gilt selbstredend auch für die primär und unmittelbar beteiligten Seiten. Jede Form von Kriegshetze und Scharfmacherei, wie sie sich derzeit im Gerede von einer „Rückkehr des Kalten Krieges“ abspiegelt, wäre zu unterlassen.

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