© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/14 / 12. September 2014

Zahnlose Anreißer
Online-Medien: Streit um Vorspänne von Haupttexten hinter Bezahlschranken
Richard Stoltz

Aufregung in den Online-Redaktionen. Natürlich geht es wieder mal ums Geld. Der Zugang zu ihren Texten im Internet ist in aller Regel frei, der Nutzer muß nicht für sie bezahlen wie für die gedruckte Zeitung. Andererseits wollen die Macher endlich auch online Geld verdienen. Also gibt es nun bei immer mehr Online-Beiträgen einen „ersten“ Text, genannt Teaser – Anreißer, Appetitmacher – und einen zweiten, den Haupttext, in dem „die Sau wirklich herausgelassen wird“ (Kai Diekmann). Doch für letzteren muß bezahlt werden, er steht hinter einer Bezahlschranke, einer sogenannten „Paywall“.

Kürzlich nun hat ein ehemaliger Grünen-Landtagsabgeordneter aus Hessen, Daniel Mack (27), beim Landgericht Köln eine einstweilige Verfügung gegen die Bild-Zeitung erwirkt, die viele ihrer Online-Artikel ebenfalls in Teaser einerseits, „Bild plus“ andererseits aufteilt. Im Vorspann des fraglichen Artikels wurde in reißerischer Manier suggeriert, der Ex-Abgeordnete sei beim Schwarzfahren erwischt worden; in „Bild plus“ hinter der Bezahlschranke wurde der Fall dann deutlich abgeschwächt.

Der Anwalt des Klägers beantragte deshalb ausdrücklich, daß der Teaser in das Verbot einbezogen werde; diesem Antrag gab das Gericht statt. Der Springer-Verlag hat Widerspruch eingelegt. Vorerst jedoch herrscht Ratlosigkeit in der Branche. Werden Teaser künftig als Rechtsobjekte sui generis gewertet oder bleiben sie bloßer Bestandteil des „eigentlichen“ Textes? Der mit dem Fall betraute Kölner Rechtsanwalt Ralf Höcker meint, Anreißer müßten „ausgewogen formuliert“ sein, sie dürften nicht „unzulässig zugespitzt“ werden. Hier bestehe dringend juristischer Regelungsbedarf.

Die Branche ihrerseits sieht freilich vor allem finanziellen Regelungsbedarf. Wenn künftig Teaser keine echten Anreißer mehr sind, nur noch zahnlos-langweilig und juristisch bis ins letzte Detail einwandfrei daherkommen dürfen, welcher Leser will dann noch hinter die Bezahlschranke? Hier könne es nur eine Parole geben: Rettet die Reißzähne der Anreißer!

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