© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/14 / 19. September 2014

„Eine Verpflichtung für die Nation“
Wenn am Samstag in Berlin wieder Tausende beim „Marsch für das Leben“ gegen Abtreibung protestieren, ist sie ihnen ein Vorbild. Die Aktivistin Lila Rose avancierte mit mutigen verdeckten Aktionen und ihrer Organisation „Live Action“ zu einer der populärsten Lebensschützerinnen der USA.
Thorsten Brückner

Frau Rose, das „National Journal“ zählt Sie zu den 25 einflußreichsten Frauen in Washington D.C. unter 35 Jahren.

Rose: Ich fühlte mich sehr geehrt, zumal ich die Jüngste auf der Liste war. Ich bin dankbar für Gottes Hilfe.

Sie sind Präsidentin der Lebensschutzorganisation „Live Action“ und behaupten sich als 26jährige gegen die Mächtigen Amerikas.

Rose: Mein Ziel ist es, in ganz Amerika Menschen zu inspirieren, aufzuklären und zu aktivieren, damit sie für die menschliche Würde aufstehen. Durch unseren investigativen Journalismus und unsere sozialen Medien sind wir zu einem der größten Medienproduzenten der Lebensschutzbewegung in den USA geworden. „Live Action“ hat eine Nachrichtenseite, die über Aktuelles aus der Lebensschutzszene informiert, ein Magazin und eben die sozialen Medien. Damit wollen wir jungen Leuten Informationen an die Hand geben, damit sie enweder „Ja“ zum Leben sagen oder sich ihr Enthusiasmus für den Lebensschutz noch verstärkt.

Bekannt wurden Sie, als Sie mit versteckter Kamera Mißstände in Abtreibungskliniken von „Planned Parenthood“ gefilmt haben, mit schockierenden Ergebnissen.

Rose: In Abtreibungskliniken zu gehen und die dortigen Zustände aufzudecken ist ein bedeutender Teil unserer Arbeit. Zu Beginn war ich selbst an diesen Projekten beteiligt. Ich gab vor, 13 Jahre alt zu sein und von einem 31 Jahre alten Mann mißbraucht worden zu sein. Wir suchten zehn Kliniken im ganzen Land auf, und überall baten sie mir Mittel zur Geburtenkontrolle und eine heimliche Abtreibung an. Die sexuelle Beziehung einer Minderjährigen zu einem erwachsenen Mann interessierte sie überhaupt nicht, und sie machten auch keine Anstalten, es der Polizei zu melden.

Gab es Konsequenzen?

Rose: Nach der Veröffentlichung unserer Videos wurden schnell die Rufe nach dem Stopp von Regierungsgeldern für „Planned Parenthood“ laut. In vielen Staaten wurde denen daraufhin der Geldhahn zugedreht, insgesamt mehr als 71 Millionen Dollar verliert die Organisation so Jahr für Jahr. Zusätzlich zu diesen externen Konsequenzen gab es zahlreiche interne Folgen bei „Planned Parenthood“: Mitarbeiter wurden umgeschult oder rausgeworfen.

Was ist das Ziel von „Planned Parenthood“?

Rose: „Planned Parenthood“ wurde 1921 auf Basis der Eugenik-Philosophie gegründet. Man wollte gezielt solche Teile der Bevölkerung loswerden, die man für schwach oder lebensunwert erachtete, und das beinhaltete zu einem Großteil die schwarze Minderheit. In Amerika ist mittlerweile die Wahrscheinlichkeit für ein schwarzes Baby, abgetrieben zu werden, genauso hoch wie geboren zu werden. Die Abtreibungsrate ist unter Schwarzen enorm hoch. Die Wahrscheinlichkeit, daß eine schwarze Frau während ihres Lebens eine Abtreibung hat, ist drei- bis fünfmal höher als bei einer weißen Frau.

Was hat das mit „Planned Parenthood“ zu tun?

Rose: „Planned Parenthood“ betreibt seit seiner Gründung Programme, die gezielt auf Schwarze gerichtet sind. Sie nannten das sogar das „Negro-Projekt“. Die Gründerin, Margaret Sanger, war eine selbsternannte Eugenikerin. Ihre Absicht war es, über Geburtenkontrolle und Sterilisierungen und Abtreibungen das Wachstum jener Bevölkerungsgruppen zu begrenzen, von denen sie nicht wollte, daß sie sich fortpflanzten. Darunter waren ganz besonders Schwarze. Auch heute noch finden sich die Kliniken überproportional häufig in schwarzen Vierteln.

Das hat „Planned Parenthood“ nicht auf sich sitzen lassen.

Rose: Sie haben eine Kampagne gegen mich begonnen. Nachdem ich mein erstes Video veröffentlich hatte – ich war gerade 18 –, fingen sie an, Fotos von mir in ihren Abtreibungskliniken aufzuhängen. Daraufhin habe ich dann mein Haar blond gefärbt, und während unserer Recherchen ist es zusätzlich auch noch gewachsen. Aber dann haben sie das alte Foto von mir durch eines ersetzt werden, auf dem ich mit blonden Haaren zu sehen war. Auch drohten sie mir wiederholt, mich zu verklagen, aber meist versuchen sie, solche Geschichten unter den Teppich zu kehren, weil sie keine Aufmerksamkeit auf sich und den Mißbrauch in ihren Kliniken lenken wollen. Heute schulen wir Gruppen von Enthüllungsreportern auf der nationalen und internationalen Ebene, aber ich selbst habe mich aus dieser Arbeit zurückgezogen.

Wie kommt eine junge Frau dazu, sich für den Lebensschutz zu engagieren?

Rose: Seit meiner Teenagerzeit engagiere ich mich im Lebensschutz, weil ich schon damals überzeugt war, daß das die wichtigste Frage unserer Zeit ist. Ich konnte einfach nicht schweigend dabeistehen und nichts dagegen tun.

Tut die derzeitige US-Regierung Ihrer Meinung nach genug gegen Abtreibung?

Rose: Wir haben derzeit den abtreibungsfreundlichsten Präsidenten in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Was er tut, ist eine Verhöhnung der Verfassung, auf die wir unser Verständnis aufgebaut haben, daß alle Menschen gleichermaßen vom Gesetz geschützt werden müssen. Unser Präsident ist einer der größten Fürsprecher, einer ganzen Gruppe von Menschen – die noch dazu die schwächsten in unserer Gesellschaft sind – fundamentale Menschenrechte vorzuenthalten. Dazu kommt, daß Obama auch enge Kontakte zur Abtreibungsindustrie unterhält. Von dem neuen Krankenversicherungssystem „Obamacare“ wird die Abtreibungsindustrie daher auch massiv profitieren.

Und das würde sich unter einem republikanischen Präsidenten ändern?

Rose: Die Signale, die von den Republikanern kommen, sind derzeit überwiegend positiv. Es ist tragisch, daß es bei den Demokraten nicht mehr Politiker gibt, die für den Schutz menschlichen Lebens eintreten, denn der Kampf gegen Abtreibung ist prinzipiell ein überparteiliches Anliegen.

Zumindest scheint laut Umfragen der Lebensschutz – anders als beim Widerstand gegen die Homo-Ehe – nach wie vor eine Erfolgsstrategie für die Partei zu sein.

Rose: Eine Mehrheit der Amerikaner ist gegen Abtreibung. Die Hauptschwierigkeit für konservative Politiker ist es also nur noch, ohne Angst kompromißlos für den Lebensschutz einzustehen.

Gerade jüngere Menschen sind laut Umfragen stärker gegen Abtreibung als ihre Elterngeneration.

Rose: Das ermutigt uns sehr. Meine Generation hat Zugang zu sozialen Medien, die die traditionellen Medienschranken einreißen. Sie erhalten ihre Informationen nicht mehr von den großen TV-Stationen, sondern von anderen „Autoritäten“ . Es ist nicht mehr die Regierung, bestimmte Medien oder Lehrer, die die alleinige Deutungshoheit über ihre Köpfe haben.

Auf Facebook hat „Live Action“ mittlerweile über 670.000 „Gefällt mir“-Klicks.

Rose: Wir haben erheblich mehr „Gefällt Mir“ als „Planned Parenthood“. Und das, obwohl wir nur über 0,1 Prozent ihres Budgets verfügen. Die Hälfte unserer Facebook-Freunde sind Jugendliche: Das sind die Wähler von morgen.

Feministinnen sehen das Engagement von Männern in der Lebensschutzbewegung als Beweis, daß diese dazu diene, Frauen zu unterdrücken. Was halten Sie vom männlichen Einsatz für den Lebensschutz?

Rose: Jedes Kind hat eine Mutter und einen Vater, und nicht unterschlagen sollten wir auch, daß die Hälfte der im Mutterleib getöteten Kinder Jungs sind. Es handelt sich also um ein Thema, das Frauen und Männer gleichermaßen betrifft. Daß schließt nicht aus, daß man sich um schwangere Frauen in besonderem Maße kümmert. Aber auch Männer sollten an der Seite von Frauen hier aktiv sein und sich für ihre Söhne und Töchter einsetzen und für deren Menschenrechte einstehen.

Aber schadet es der Lebensschutzbewegung nicht, wenn Männer dort in der ersten Reihe stehen?

Rose: Nein, überhaupt nicht, solange Männer Verständnis für die besondere Konfliktsituation von Frauen aufbringen. Sie müssen Frauen respektieren, auch in sexueller Hinsicht. Ein Großteil des Problems ist der Niedergang an Respekt für den Körper der Frau. Männer, die für den Lebensschutz kämpfen müssen, bevor sie mit einer Frau Sex haben, verstehen, daß Leben eine direkte Konsequenz der Schwangerschaft ist.

Wo sehen Sie „Live Action“ in zehn Jahren?

Rose: Wir befinden uns gerade in einer Phase der Ausdehnung. Wir wollen noch stärker aufklären, besonders durch Kampagnen an Schulen und Universitäten. Auch wünschen wir uns, daß unsere investigativen Recherchen, die wir in Zukunft ausbauen wollen, eine noch stärkere politische Wirkung entfachen.

Hat „Live Action“ Verbindungen zu europäischen Lebensschutzorganisationen?

Rose: Ich bin oft auf Konferenzen in Europa und tausche mich dort mit Lebensschutzaktivisten über deren Strategien aus. Wenn wir in den USA weiter wachsen, können wir auch unsere internationalen Aktivitäten verstärken.

Arbeiten Sie mit Lebensschutzorganisationen in Deutschland zusammen?

Rose: Ich habe Gespräche mit einzelnen deutschen Lebensschützern geführt, aber eine konkrete Zusammenarbeit gibt es noch nicht.

2013 kamen etwa 4.000 Menschen zum „Marsch für das Leben“ nach Berlin. In Washington D.C. kommen zur alljährlichen Lebensschutzdemo eine halbe Million Menschen. Was machen wir in Deutschland falsch?

Rose: Zunächst gilt: Nicht aufgeben! Ihr könnt stolz sein auf das, was ihr erreicht habt! Der Schlüssel liegt darin, lokale Kirchengemeinden und besonders Pfarrer und Pastoren für den Marsch zu gewinnen. Außerdem sollte man eine aggressive Medienpolitik betreiben.

Und dann kommen eine halbe Million?

Rose: Die zweite Frage, die Lebensschützer sich stellen sollten, ist: Warum gibt es so viele Abtreibungen? Ist es wegen eines Mangels an Bildung, eines Mangels an Aufklärungsmaterial? Geht dieses Problem ganzheitlich an und kommuniziert eure Botschaft ohne Furcht! Der Lebensschutz darf nicht einigen wenigen Gruppen überlassen werden, die ihre immer gleichen abgedroschenen Phrasen wiederholen. Es ist eine Verpflichtung für die ganze Nation, und jeder einzelne Deutsche sollte leidenschaftlich für das fundamentale Menschenrecht Ungeborener kämpfen.

Vielen Bischöfen in Deutschland ist – anders als in den USA – der Lebensschutz kein Herzensanliegen. Der Marsch wird daher von den meisten nicht unterstützt.

Rose: Es macht mich traurig, das zu hören. Leider hört man das auch aus anderen Ländern immer wieder. Manchmal tun Menschen nicht den Job, den sie eigentlich tun sollen. Im Fall der Kirchenführer heißt das für die Deutschen: Zieht ohne sie los!

Was können deutsche Lebensschutzorganisationen von „Live Action“ lernen?

Rose: Zuallererst hoffe ich, daß sie von unserer Furchtlosigkeit lernen. Wir gehen das Problem der Abtreibung mit der Zuversicht an, daß die Wahrheit Menschen frei macht. Ein Vorbild für diese Furchtlosigkeit ist für mich Sophie Scholl. In ihrem Widerstand gegen den Nationalsozialismus war es ihr wichtig, einen Anfang zu machen. Also macht diesen Anfang, habt keine Furcht!

Was ist Ihre Botschaft für die Menschen, die am Samstag in Berlin für das Leben auf die Straße gehen?

Rose: Ich wünschte, ich könnte bei euch sein! Ganz wichtig ist: Teilt mit anderen die Freude, die ihr an eurem Engagement habt. Die Basis der Lebensschutzarbeit ist eine brennende und nicht zu stoppende Freude. Eine Freude an der Wahrheit. Wir kämpfen für die Würde aller Menschen, sogar die der Abtreibungsärzte. Und ganz wichtig: Als gläubige Menschen solltet ihr für den Erfolg eurer Sache beten. Gott hat großes Interesse an eurer Arbeit!

 

Lila Rose, gründete mit nur 15 Jahren die Lebensschutzorganisation „Live Action“, deren Präsidentin sie ist, und wurde 2006 öffentlich bekannt, als sie mit versteckter Kamera Mißstände in Abtreibungskliniken filmte. Die 1988 im kalifornischen San José geborene Lebensschützerin ist das dritte von acht Kindern und wurde während ihrer Highschool-Zeit per Heimunterricht unterrichtet. 2009 bekehrte sich die in einem evangelikalen Elternhaus aufgewachsene Geschichtsstudentin zum katholischen Glauben. Sie ist regelmäßiger Gast in konservativen TV-Shows wie „O‘Reilly Factor “ oder bei Glenn Beck. Als ihre herausragendsten Projekte gelten das „Planned Parenthood Racism“-Projekt, das „Mona Lisa“- und das „Inhuman“-Projekt. Das „Racism“-Projekt deckte auf, daß Planned Parenthood Spenden für die gezielte Abtreibung schwarzer Babys entgegennahm. Für „Mona Lisa“ gab sich Rose in einer „Planned Parenthood“-Klinik als 13jähriges Mädchen aus, das von seinem erwachsenen Freund schwanger ist. Man bot ihr heimliche Abtreibung ohne Wissen der Eltern an. „Inhuman“ überführte den Abtreibungsarzt LeRoy Carhart illegaler Spätabtreibungen. Durch den Prozeß gegen Abtreibungsarzt Kermit Gosnell, der zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, erhielt „Inhuman“ zusätzliche Aufmerksamkeit.

www.liveaction.org

Foto: US-Lebensschützerin Lila Rose: „Jeder Deutsche sollte leidenschaftlich für das Menschenrecht der Ungeborenen kämpfen. Ich wünschte, ich könnte bei euch sein. Habt keine Furcht!“

 

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