© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/14 / 19. September 2014

Berliner Geisterbeschwörung
Demonstration gegen Antisemitismus: Die wachsende Judenfeindlichkeit junger Moslems spielte nur am Rande eine Rolle
Fabian Schmidt-Ahmad

Stell dir vor, es gibt eine Demonstration, alle kommen, und niemand sagt, wofür oder wogegen eigentlich demonstriert wird. Jenes bizarre Schauspiel war in Berlin am vergangenen Sonntag zu erleben, als der Zentralrat der Juden in Deutschland unter dem Motto „Steh auf! Nie wieder Judenhaß!“ zu einer Kundgebung am Brandenburger Tor aufrief. Rund 4.000 Bürger folgten diesem Aufruf, der ein Zeichen gegen antisemitische Tendenzen in der Bundesrepublik setzen sollte.

Nicht, daß der Zentralrat dazu keinen Grund gehabt hätte. Es ging natürlich um den jüngsten Gaza-Konflikt und dessen Folgen für die Juden in Deutschland. Wenn hierzulande eine rasant wachsende Zahl junger Moslems das Ereignis zum Anlaß nimmt, Juden in aller Öffentlichkeit zu demütigen und zu verprügeln, schrillen zu Recht alle Alarmglocken. Nur ausgerechnet auf dieser Demonstration wurde die Urheberschaft für die jüngsten Übergriffe fast gänzlich ignoriert. Bezeichnenderweise blieben Islamfunktionäre, die sonst beständig vor „Antisemitismus und Islamfeindlichkeit“ warnen, der Veranstaltung fern. Aber auch so war die Botschaft angekommen: Islam und islamischer Judenhaß haben nichts, aber auch rein gar nichts miteinander zu tun. Lediglich der Zentralratsvorsitzende Dieter Graumann erlaubte sich den sachten Hinweis: „Muslime dürfen nicht zulassen, wenn radikale Islamisten ihre Religion mißbrauchen, um Haß zu schüren.“

Wirklich? Statt der Frage nachzugehen, warum sich diese Religion dann so hervorragend mißbrauchen läßt, erlebte man auf der Veranstaltung in Berlin eine Art Geisterbeschwörung. Auf Schildern, Transparenten und Bannern wurde die persönliche Empörung über den Nationalsozialismus zum Ausdruck gebracht; ganz so, als sei dieser staatstragend, und nicht jene Gestalten auf der Rednertribüne, vom Bundespräsidenten abwärts.

Staatstragend war auch das Publikum. Vorherrschender Typus: Beamter im höheren Dienst, der die Veranstaltung als Ersatz für den Opernbesuch goutiert. „Die Rede war wirklich elektrisierend“, kommentierte jemand die wortreichen Ausführungen gegenüber seiner wohlgekleideten Begleitung. So nichtssagend die Beiträge auf der Rednertribüne, so bunt das Treiben davor. Unmittelbar vor der Bühne wehten Fahnen der Ukraine. Wenig abseits Fahnen der Russischen Föderation mit Schildern: „Kein Krieg mit Rußland“.

So betrachtet ist Politik wirklich einfach: „Keine Waffen, kein Krieg, keine Nazis“, riet ein Transparent. Ein anderes forderte „Merkel, give us German Pass-ports, not weapons“ (Merkel, gib’ uns die deutsche Staatsbürgerschaft, nicht Waffen). Auch sonst war für Unterhaltung gesorgt. Besucher pilgerten zum Fotoshooting zum nahe gelegenen Denkmal der ermordeten Juden. Kleine und große Betonklötze als schaurig-schöner Hintergrund, bevor es wieder in die bereitstehenden Reisebusse ging.

Auch das sowjetische Ehrenmal im Tiergarten nahe dem Brandenburger Tor erfreute sich als Fotokulisse großer Beliebtheit. Besucher ließen sich vor der Statue des unbekannten Rotarmisten ablichten, wie sie riesige Israelfahnen schwenkten. Auf der anderen Straßenseite informierten Aufsteller über den „Vernichtungskrieg im Osten“. Natürlich den Vernichtungskrieg der Nationalsozialisten. Ignoriert wurde von den Teilnehmern dagegen eine Plastik auf dem Mittelstreifen. Es ist „Der Rufer“ von Gerhard Marcks.

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