© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/14 / 19. September 2014

Alle Hühneraugen zugedrückt
Gebrochenes Deutsch: Laxe Vorschriften lassen die Zahl ausländischer Ärzte mit Sprachproblemen anschwellen – auf Kosten der Kranken
Thomas Paulwitz

Schlechte Deutschkenntnisse können die Gesundheit gefährden. Im Gesundheitswesen ist es zu einem Mißstand gekommen: Gut ausgebildete Ärzte verlassen Deutschland, weil sie zu schlecht bezahlt werden und schlechte Arbeitsbedingungen vorfinden. Dadurch entsteht ein Ärztemangel. Laut Bundesärztekammer blieben im Jahr 2012 rund 6.000 Arztstellen in Krankenhäusern unbesetzt. Daher holen sich die Krankenhäuser billigere und genügsamere Ärzte aus dem Ausland. Diese sprechen dann jedoch oft nur schlechtes Deutsch.

Zu einem solchen Arzt ging Volker Mikat aus Gütersloh. Doch sein Gespräch mit ihm hatte verheerende Folgen: „Der konnte sich nicht in Deutsch vorstellen. Und das auch nur gebrochen. Und wenn ich eine Frage gestellt habe, gerade zu den Alternativen, konnte er mir überhaupt nicht darauf antworten.“ Auf Anweisung des Arztes wurde der 49jährige Patient am Darm operiert. Dadurch verschlimmerten sich seine Beschwerden. Mikat klagt gegen die Klinik, denn er ist jetzt sein ganzes Leben lang auf Medikamente angewiesen.

Wörter wie Hexenschuß sind ein Buch mit sieben Siegeln

Auf einen radebrechenden Arzt zu treffen, der kaum etwas versteht und sich schlecht ausdrücken kann, ist leider kein Einzelfall. Innerhalb von zehn Jahren hat sich die Zahl ausländischer Ärzte in Deutschland weit mehr als verdoppelt. Arbeiteten hier im Jahr 2002 noch rund 13.000 ausländische Ärzte, waren es 2012 bereits über 32.000. Die Tendenz ist steigend, denn seit April 2012 kann in Deutschland jeder Arzt die Zulassung beantragen, gleichgültig, welche Staatsangehörigkeit er besitzt und wo er studiert hat. Nur bei Bewerbern, die nicht aus Europa oder Amerika stammen, sehen die Behörden etwas genauer auf die vorangegangene Ausbildung. Tausende Ärzte mit schlechten Deutschkenntnissen sind daher eingewandert und haben die Zulassung erhalten.

In manchen Krankenhausabteilungen sind die deutschen Ärzte bereits in der Minderheit. Die meisten Mediziner, die 2012 eingewandert sind, stammen aus Syrien, Rumänien, Griechenland, Ungarn und Bulgarien. Selbst wenn diese Zuwanderer einigermaßen die deutsche Sprache beherrschen, sind für sie Wörter wie Hühnerauge, Schlüsselbein oder Hexenschuß oft ein Buch mit sieben Siegeln.

Ein Betroffener berichtet: „Ein Kinderarzt hätte unseren einjährigen Sohn mit falschen Medikamenten behandelt, weil er uns einfach nicht verstanden hat und wir ihn auch nicht. Wir haben die Behandlung abgebrochen. Nach unserer Recherche hätte das Medikament fatale Folgen für unser Kind haben können. (…) Nun sind wir wieder bei unserem alten Kinderarzt. Lieber fahre ich 30 Kilometer.“ Solche Berichte sind leider keine Einzelfälle. Ein anderer erzählt etwa: „Ich bin [im Klinikum in Villingen-Schwenningen] von einem Arzt untersucht worden, den ich beim besten Willen nicht verstanden habe. Seine Aussprache war ein Gemisch aus Deutsch, Spanisch, vielleicht war auch noch ein bißchen Englisch dabei … keine Ahnung! Ich habe mich dort nicht weiter behandeln lassen.“

Andere nehmen es mit Humor: „Neulich im Kinderkrankenhaus hatten wir auch leichte Verständigungsprobleme. Das ist aber auch manchmal ganz lustig: ‘Durchsuchen Sie in den nächsten Tagen die Stühle.’“ Eine junge Mutter berichtet: „Nach meinem Kaiserschnitt kam ein Gynäkologe zu mir, den ich zuerst für einen Studenten hielt. Er trug keinen Kittel, und von seinen Fragen verstand ich weniger als die Hälfte. Zum Glück wurde er von einer Assistentin begleitet, welche die Fragen für mich in ein verständliches Deutsch übersetzte.“

Eigentlich sieht Paragraph 3 der Bundesärzteordnung vor: „Die Approbation als Arzt ist auf Antrag zu erteilen, wenn der Antragsteller … über die für die Ausübung der Berufstätigkeit erforderlichen Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt.“ Doch die einzelnen Bundesländer legen dies sehr unterschiedlich aus. Von ausländischen Lehrern und Studenten wird oft wesentlich mehr erwartet als von Ärzten.

Immerhin hat sich die Politik dieses Problems bereits angenommen. Ende Juni konnte sich die Gesundheitsministerkonferenz auf ein einheitliches Verfahren verständigen, wie die Sprachkenntnisse zu überprüfen sind. In einer Pressemitteilung heißt es: „Ärzte, Zahnärzte und Apotheker müssen sich mit Patientinnen und Patienten mühelos verständigen, Anamnesen erheben und über Vor- und Nachteile von Behandlungen und Behandlungsalternativen aufklären können. Gegenüber Kolleginnen und Kollegen müssen sie sich klar ausdrücken können, damit Fehldiagnosen und falsche Therapieentscheidungen aufgrund von Verständnisfehlern ausgeschlossen sind.“

Ein mittelmäßiges Sprachniveau reicht aus

Bislang verlangten elf von sechzehn deutschen Bundesländern nur allgemeine, mittelmäßige Deutschkenntnisse für die Berufserlaubnis. In der Regel ist das die Stufe B2, also die „Selbständige Sprachverwendung“. Die Gesundheitsministerkonferenz fordert nun, daß einwandernde Ärzte mindestens das Niveau C1 nachweisen müssen. Das entspricht „Fachkundigen Sprachkenntnissen“.

Wann und wie sehr dieser Beschluß in den einzelnen Bundesländern umgesetzt wird und dann auch greift, bleibt abzuwarten. Guntram Schneider (SPD), der nordrhein-westfälische Integrationsminister, hat unterdessen eine besondere Lösung gefunden. Vor einigen Monaten erklärte er vor der Handwerkskammer in Münster: „Das Problem wäre schon gelöst, wenn mehr Patienten Englisch könnten.“ Nicht der Arzt soll also sein Deutsch verbessern, sondern der Patient sein Englisch. Wobei keineswegs gesichert ist, daß diese Ärzte gut Englisch können. Angesichts solcher Lösungsvorschläge möchte man einen Arzt rufen – aber bitte einen mit sehr guten Deutschkenntnissen!

Foto: Perspektivwechsel: SPD-Politiker Schneider fordert Patienten auf, beim Arztbesuch englisch zu sprechen

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