© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/14 / 19. September 2014

Die Li-La-Launebeere
Aronia: Wie der erfolgreiche Internetunternehmer Jörg Holzmüller auf Biolandwirtschaft umsattelt und den Siegeszug einer fast vergessenen Frucht organisiert
Ronald Gläser

Jörg Holzmüller steht mitten in einem Aroniafeld. Neben ihm der mannshohe Strauch. „Das war hier alles mit Schlamm überflutet im Sommer 2013. Kirschen und Äpfel – die ganze Ernte war verloren, weil die Früchte vergammelt waren. Nur die Aroniabeere nicht.“

Wenn Holzmüller zu erzählen beginnt, dann wird aus der sauren, lilafarbenen Beere schnell so etwas wie ein Wunderheilmittel gegen alles. Aronia ist gut für den Kreislauf, für die Verdauung und vor allem für das Immunsystem. Eine Frucht, die so überlebensfähig ist, die hilft auch dem menschlichen Körper, sagt Holzmüller.

„Die können Sie auch in Sibirien anbauen“

Aronia nimmt keine Radioaktivität auf und ist frostresistent bis zu minus 35 Grad Celsius. Sie ist deshalb auch in Rußland sehr begehrt. Holzmüller schwärmt: „Die können Sie auch in Sibirien oder auf dem Kaukasus anbauen.“ Überhaupt Rußland. Niemand hat so viel zu der Pflanze geforscht wie die Russen. Eigentlich stammt die Aronia aus Deutschland. Früher wurde sie nur als Färbemittel verwendet. Dann entdeckten Russen die Beere und bauten sie an, vor allem für die Chemieindustrie. Nach einer Weile begannen Landleute, Aronia von den Feldern zu klauen.

Wer Aronia aß, der wurde seltener krank. Weniger Infektionen und Erkältungen. Gut gegen Neurodermitis und Diabetes, prima für die Verdauung. Holzmüller: „In Rußland wissen sie sogar, daß die Beere gut gegen Krebs ist.“ Die halbe russische Olympiamannschaft in Sotschi soll Aronia genommen haben.

Und dann präsentiert Holzmüller einen an Parkinson erkrankten Buchautor, der durch Aronia von der eigentlich unheilbaren Krankheit geheilt worden sein soll. Holzmüller weiß zudem von einem geheimen Forschungsprojekt der Sowjets zu erzählen, die ihren Soldaten im Kalten Krieg nach einem Atomschlag Aroniasaft zu trinken geben wollten, damit diese unbeeinträchtigt durch das kontaminierte Gebiet ziehen können.

Aronia, die Superbeere? Holzmüller darf nicht alles, was er über die Beere denkt, auch sagen, weil er möglicherweise gegen eine Vorgabe der EU verstößt. Die Health-Claims-Verordnung zwinge ihn zur totalen Zurückhaltung. „Die macht uns die Arbeit sehr, sehr schwer. Wir dürfen die Wahrheit nicht mehr sagen.“ Das Gesetz verbietet das Bewerben von Produkten mit Attributen wie „gesundheitsfördernd“. Ob gesund oder nicht: Die Aronia ist ein Verkaufsschlager. Seit Holzmüller 2008 mit zwei bis drei Mitarbeitern die Vermarktung der Beere begonnen hat, steigt der Absatz unaufhörlich. Das Produkt wird vor allem im Versandhandel und über Spezialgeschäfte wie Reformhäuser vertrieben.

Zum großen Aronia-Fest in Coswig bei Dresden Ende August sind annähernd 10.000 Besucher aus ganz Deutschland gekommen. Die Kfz-Kennzeichen verrieten die Herkunftsorte: München, Flensburg, Mönchengladbach. Die Kundschaft reicht von Vegetariern und Veganern bis hin zu gesundheitsbewußten Fleischkonsumenten, die Aronia-Knackwürste (vierzig Prozent weniger Fett bei gleichem Geschmack) und Aronia-Gulasch verzehren. In einer Showküche zeigt der Skisportler Jens Weißflog, der kostenfrei für Aronia wirbt, weil er an die Beere glaubt, wie Kürbissuppe mit Aronia gekocht wird und warum die Beere gut für Sportler ist.

Ein Vermarktungsgenie aus der Cyberwirtschaft

Die Regeneration gelinge schneller, das behauptet auch Holzmüller, der durch Zufall an Aronia gelangt ist. Als Jugendlicher war er nachtblind, bis ein hessischer Arzt ihm „etwas aus der Sowjetunion“ verabreichte. Es war Aroniasaft, damals 220 D-Mark pro Flasche. So teuer sind die Aronia-Produkte heute nicht mehr. Der Preis pro Liter beginnt bei etwa sechs Euro. Nichts für Schnäppchenjäger. Eher für Bioladenkunden. Das Produktportfolio umfaßt 41 Produkte wie Marmelade, Süßigkeiten, Biowein, Sirup oder Tee.

Die Nachblindheit verschwand damals, und Holzmüller vergaß die Sache. Dann erzählte ihm Jahre später ein russischer Fahrgast in der Bahn davon, und er erinnerte sich daran zurück. Plötzlich hatte er eine Geschäftsidee. „Es sind solche Zufälle, die mich zu Aronia gebracht haben“, berichtet er schmunzelnd. Später erfand sein Sohn aus Zufall die Aronia-Limonade. Er mixte den sauren Saft im Griechenlandurlaub mit einer Kräuterbrause. Und voilà – geboren war die Aronade. Die Geschichte wird für jedermann sichtbar auf dem Aronade-Etikett angedeutet.

Die Besucher des Aronia-Festes sind weit gereist und alle überzeugt. „True believer“ (wahre Gläubige) nennt Holzmüller den Kern seiner Kunden. Er vergleicht sein Unternehmen gerne mit dem Computerriesen Apple, der eine ähnliche Faszination auf Mitarbeiter und Kunden ausübt. Solche Vergleiche kommen nicht von ungefähr. Holzmüller ist um die Jahrtausendwende mit der Computerfirma Cyberport extrem erfolgreich. Schließlich verkauft er sie an Burda – und streicht satte Gewinne ein. Statt sich zur Ruhe zu setzen, sattelt er auf Biolandwirtschaft um. Aber der Pioniergeist ist der gleiche wie damals. Seine Konkurrenten heute vergleicht er gerne mit Samsung, ein Unternehmen, das die Mobiltelefone und Tablets von Apple eins zu eins zu kopieren versucht.

Holzmüller beschäftigt 27 Mitarbeiter. Sein Exportanteil liegt bei 15 Prozent. Die innerbetrieblichen Verhältnisse sind einfach, die Hierarchien flach: Er ist der Chef. Alle stehen hinter ihm und dem Produkt. „Das gibt uns echt Kraft“, sagt er. Sein Credo: Nicht Politiker, sondern Unternehmen verändern die Welt. Holzmüller will mehr Eigenverantwortung. Er ist kein naiver Gegner der Schulmedizin. Aber: Patienten, so sagt er, sollen mitdenken und nicht alles schlucken, was ihnen die Pharmaindustrie vorsetzt. Mit dieser Haltung liegt er voll im Trend. Aronia könnte noch eine glänzende Zukunft vor sich haben.

 

Wie gesund ist die Aronia-Beere?

In der Aronia sind – wie auch im Holunder – viele Antioxidantien. Stoffe also, die die Verbindung mit der Luft und damit die Zersetzung unterbinden oder herauszögern. Keine andere Pflanze produziert so viele jener Stoffe, die im Körper schnell Sauerstoffverbindungen binden und unschädlich machen. Kein Wunder also, daß die Beere gerade in Osteu-ropa einen guten Ruf genießt. Die Beweisführung ist jedoch schwierig. Eine polnische Studie von 2011 bescheinigt der Beere genauso gesundsfördernd zu sein wie Rotwein, der ebenfalls antioxidativ wirkt. Bulgarische Forscher haben 2002 die blutzuckersenkende Wirkung nachgewiesen, was gut für Diabetiker ist. Andererseits besagt eine israelische Studie aus dem Jahr 2010, daß die „Qualität der meisten Untersuchungen und damit der Beweis für eine Wirkung von Aronia-Produkten dürftig“ sei. Letztlich müssen sich die Konsumenten selbst ein Bild machen.

Aronia Original Naturprodukte GmbH

www.aronia-original.de

Fotos: Ernteeinsatz: Firmengründer Holzmüller auf einer Aronia-Plantage bei Dresden; Werbe-Ikonen: Spitzenköchin Uta Riedel mit dem Skifahrer Jens Weißflog in einer Aronia-Schauküche

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen