© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/14 / 19. September 2014

Das Gesetz der Halbstarken
Wenn die religiöse die staatliche Gewalt überformt: Islamisten wollen die Leitkultur des Alltags prägen
Thorsten Hinz

Die Reaktion auf die von Salafisten veranstaltete Patrouille der „Scharia-Polizei“ in Wuppertal (JF 38/14) war zwiespältig. Einerseits reagierten die Behörden prompt und entschieden, allen voran Innenminister Thomas de Maizière (CDU), der erklärte, die Scharia werde in Deutschland nicht geduldet. In der Wortwahl des Ministers spiegelt sich auch die Nervosität wider, die die gerade verbotene Organisation „Islamischer Staat“ (IS) ausgelöst hat. Andererseits scheuen Politik und Medien davor zurück, das Problem klar zu benennen.

Furcht und das Fehlen einer Begrifflichkeit gehen dabei Hand in Hand. Es klingt nach Ausflucht, wenn Polizei und Staatsanwaltschaft erklären, keine juristische Handhabe gegen die Religionspolizisten zu haben. Der „Islamische Staat“ ist offen terroristisch, der Salafismus immerhin extremistisch bis totalitär. Es genügte vollauf, ein wenig vom behördlichen Verfolgungsdruck umzulenken, dem das provinziellste Skinhead-Konzert noch ausgesetzt wird.

Die Presse warnt vor übertriebenen Reaktionen. Eine FAZ-Nachwuchskraft mokierte sich, das Problem sei nicht die „latent lächerliche“ Patrouille, sondern die durch sie ausgelöste „Empörung, die Randfiguren zu Hauptdarstellern“ mache. Andere betonten, wie „deutsch“ die Gotteskämpfer seien, als würden sich hier keine kulturellen, religiösen und teilweise ethnische Bruchlinien auftun.

Für Spiegel Online stehen die salafistischen Aktivitäten und der Zuspruch, den die NPD unter männlichen Wählern zwischen 19 und 29 Jahren in Sachsen gefunden hat, auf derselben Ebene einer allgemeinen sozialen Problematik. Beides zeige, daß „vor allem junge Männer hierzulande orientierungslos abdriften“. Und Migazin, das „Online-Fachmagazin für Migration und Integration in Deutschland“, stellte die Scharia-Polizei mit den Bürgerwehren gleich, die sich mancherorts gegen die überbordende Kriminalität bilden. Mit kaum verborgener Genugtuung wird außerdem registriert, daß in Wuppertal nach der Scharia-Garde auch „Rechtsextreme“ patrouillierten. Damit ist Parität hergestellt und das multikulturelle Weltbild wieder in Ordnung.

Abgesehen davon, daß die Neonazismus- und Rechtsextremismus-Terminologie unscharf und ihr Einsatz nahezu willkürlich ist, weiß man bei den entsprechenden Meldungen nie, was Realität und was behördliche oder Mediensimulation ist. Fest steht, daß die rechtsextreme Ideologie und ihre Vertreter nirgendwo Rückhalt besitzen, sondern absolut geächtet sind.

Die überdurchschnittliche Neigung besagter Wählergruppe zur (kollabierenden) NPD kann indes auch als Reaktion auf die mediale und politische Ignoranz gegenüber den Kollateralschäden der Zuwanderung verstanden werden. Junge Männer deutscher Nationalität sind bevorzugte Opfer des Kopftretens, einer Technik, die aus jener Zuwanderergruppe heraus verübt wird, aus der sich auch Salafisten und IS-Kämpfer rekrutieren. Wo die Mehrheitsverhältnisse sich verschoben haben, geraten sie in die demütigende Dhimmi-, das heißt Schutzbefohlenen-Stellung, die nur wirbellose Medien-, Politik- und Sozialarbeiter als natürlich ansehen können. Akif Pirinçcis Essay „Das Schlachten hat begonnen“ bildet den klassischen Text zu dieser Entwicklung.

Die Bürgerwehren wollen ihr Eigentum schützen und die geltende Rechtsordnung aufrechterhalten, nachdem der Staat dazu nicht mehr willens oder fähig ist. Den Salafisten hingegen geht es darum, die geltende Rechtsordnung außer Kraft und eine andere an ihre Stelle zu setzen. Die meisten Medien klammern sich daran, daß der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman A. Mazyek, sich über die Salafisten-Aktion „empört“ gezeigt und sie „scharf“ verurteilt habe. Doch die dürren Sätze, auf die sich die Meldung stützt, geben diese Interpretation überhaupt nicht her. Mazyek hat dem Berliner Tagesspiegel lediglich in den Block diktiert: „Diese paar Halbstarken sprechen nicht in unserem Namen. Diese Leute betreiben eine Zweckentfremdung unserer Religion. Sie schaden mit dieser schrillen und völlig unsinnigen Aktion den Muslimen ungemein.“ Und überhaupt solle man der Aktion nicht zuviel Aufmerksamkeit zu schenken.

Das heißt: Die Scharia-Patrouille wird zum Lausbubenstreich erklärt. Mazyeks Erklärung verrät weder echte Empörung, noch enthält sie eine inhaltliche Distanzierung, sondern nur den Hinweis, daß die Aktion vom Zentralrat nicht autorisiert worden ist. Die Zweckentfremdung beziehungsweise der Mißbrauch des Islam ist ein Standardargument, das der Beschwichtigung dient und von der Überzeugung der Salafisten aufgehoben wird, die einzig wahre Form ihrer Religion zu vertreten. Mazyeks Kritik an der Aktion, die namens einer nichteuropäisch tradierten Religion die Hoheit des deutschen Staates angreift, entzündet sich daran, daß sie „schrill“ sei und den Muslimen schade. Sie ist taktisch, nicht grundsätzlich motiviert!

Um die latente Bedeutung des Vorgangs zu erschließen, muß man ihn in seine aktuellen und strategischen Zusammenhänge stellen. Mehr und mehr Bezirke in Westeuropa werden demographisch, gesellschaftlich, lebensweltlich und zunehmend auch rechtlich von nichteuropäischen Kulturkreisen dominiert. Das zeigt sich unter anderem daran, daß die Polizei ihre Befugnisse hier nur noch eingeschränkt ausübt. Schon eine normale Verkehrskontrolle kann binnen Minuten zu einem aggressiven Menschenauflauf einschlägiger Provenienz führen und die Beamten in eine bedrohliche Lage versetzen.

Unter diesen Umständen ist es kaum zweifelhaft, wessen Leitkultur den Alltag prägt. Solche Räume sind keineswegs rechts-, sie sind nur staats-, nämlich rechtsstaatsfrei. In ihnen wirkt das Gesetz der muslimischen Zuwanderer. Die Entscheidung darüber wird nicht im herrschaftsfreien Diskurs, sondern mit dem Recht des Stärkeren und durch die geballte Kraft des demographischen Potentials gefällt.

Ist die punktuelle Machtfrage erst entschieden, kann begonnen werden, die neuen Verhältnisse zu institutionalisieren. Eben durch das Auftauchen einer Religionspolizei, welche die Einhaltung einer dem Koran gemäßen Lebensweise kontrolliert. In London sind Scharia-Wächter („Muslim Patrol“) bereits vor einem Jahr tätig und sogar handgreiflich geworden; muslimische Jugendliche machten Jagd auf „Sünder“. Der „molekulare Bürgerkrieg“ (Hans Magnus Enzensberger), der auf die Transformation der staatlichen Ordnung abzielt, ist in solchen Fällen offensichtlich und leicht zu identifizieren.

Die Institutionalisierung kann aber auch in indirekter Weise stattfinden, indem beispielsweise der regulären Polizei muslimische Geistliche zur Seite gestellt werden, die zwischen der staatlichen Gewalt und den Zuwanderern vermitteln sollen – ein Modell, das in Deutschland verschiedentlich als Mittel zur Integration vorgeschlagen wurde. Es ist jedoch ein Mittel zur Desintegration des Staates, weil dieser zugibt, daß er in den Problembezirken über keine Autorität mehr verfügt und er sie sich von islamischen Instanzen leihen muß. Die staatliche Gewalt wird also von der religiösen überformt und perspektivisch definiert.

Ähnlich problematisch ist die „Migrantenquote“ für den öffentlichen Dienst. In ihn kann eintreten, wer die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, über entsprechende Qualifikationen und ein leeres Strafregister verfügt und erkennbar loyal zum deutschen Staat steht. In Wahrheit handelt es sich um eine Moslem-Quote, denn muslimische Zuwanderer werden diesen Mindestanforderungen nur unterdurchschnittlich gerecht. Der Staat versucht sich ihre Loyalität dadurch zu erkaufen, daß er in Vorleistung tritt und seine sachlichen, juristischen, politischen, moralischen Standards senkt. Er belohnt also die Nichtintegration und Mißachtung der vorgefundenen Leitkultur. Damit gibt er im Zweifelsfall dem Islamismus neue Möglichkeiten zur Einflußnahme.

Die Gläubigen besitzen in der Moderne einen Doppelcharakter: Sie unterstehen sowohl den Gesetzen ihrer Religion wie denen des Staates. Christen haben über die Jahrhunderte gelernt, ihre Glaubensgesetze denen des säkularen Staates unterzuordnen. Für den historisch vormodernen Islam gilt das keineswegs. Der einzelne Gläubige bleibt an die religiöse Vorschrift und das Gesetz zur Missionierung unmittelbar gebunden, was die Möglichkeit der Mimikry an den nichtislamischen Staat ausdrücklich einschließt.

Natürlich trifft solches Religionsverständnis nicht auf jeden muslimischen Zuwanderer zu, doch es wird zunehmend sichtbar und wirksam. Wer seinen Vertretern den Zugriff auf staatliche Institutionen und Entscheidungsinstanzen eröffnet, nimmt in Kauf, daß sich ein Nebeneinander konkurrierender Rechtssysteme herausbildet. Die islamische Rechtsauffassung ist im Begriff, die deutsch-europäische sukzessive zurückzudrängen. Es handelt sich um eine evolutionäre Entwicklung, die weitgehend aus dem Gesetz der Demographie gespeist wird.

Der naßforsch-revolutionäre Vorstoß der Wuppertaler Sittenwächter ist aus islamischer Sicht also gar nicht nötig und kontraproduktiv. In diesem Sinne haben die vermeintlich empörten Islam-Funktionäre recht. Ob und wann deutschen Politikern, Journalisten und Migrationsexperten ihr Hintersinn aufgeht, ist hingegen eine offene Frage.

Foto: „Scharia-Polizei“ auf Youtube: Die muslimischen Sittenwächter kontrollieren die Einhaltung einer dem Koran gemäßen Lebensweise

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