© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/14 / 19. September 2014

Linke Klischees aus dem Off
Zugeteiltes Leben in Edward Hoppers Bildern: „Shirley. Visionen der Realität“ von Gustav Deutsch
Claus-M. Wolfschlag

Die Gemälde Edward Hoppers (1882–1967) stehen fast sinnbildlich für die Aufstiegszeit der USA und zugleich den Zweifel am „American way of life“. Häufig zeigen sie schlichte Szenerien, weitgehend leere Räume mit wenigen Menschen, oft nur eine Person. Der Bildaufbau besticht durch klare geometrische Formen. Raumkanten werden betont, Landschaft hingegen verschwimmt im Unspezifischen. Hinzu kommt ein hartes, weißes Licht, das zu schroffen Schattenwürfen und Hell-Dunkel-Kontrasten führt.

Daß Hoppers Bilder zwar ganz realistische städtische und ländliche Alltagsszenen zeigen, diese aber dennoch künstlich wirken, ist nicht nur Ergebnis der mangelnden Kleinteiligkeit. Der Künstler reduzierte die Formen bewußt und schuf so eine Inszenierung von Realität.

Die Atmosphäre von Hoppers Gemälden hat schon öfter Filmregisseure inspiriert, darunter Alfred Hitchcock, Ridley Scott, Dario Argento und Wim Wenders. Nun kam der österreichische Künstler Gustav Deutsch auf die Idee, einige bekannte Hopper-Gemälde zu „beleben“, die Bildkomposition also in eine Szenendarstellung und Geschichte einzubinden.

Ganz neu ist die Idee nicht. Das Tableau vivant, also das Nachstellen von Gemälden durch lebende Personen, ist seit dem 18. Jahrhundert bekannt. Gleichwohl ist Deutschs Projekt reizvoll, und dies durch Hoppers Art der Inszenierung selbst. Die geheimnisvolle Darstellung der Personen in Hoppers Bildern liefert nämlich zwangsläufig den Raum für Deutungen. Melancholisch in Tagträume oder eine Lektüre versunken sind sie, sie starren aneinander vorbei oder aus einem Fenster, ohne daß das Objekt ihres Interesses gezeigt wird. Was geht in diesen Menschen vor? fragt sich der Betrachter. Was ist ihnen geschehen?

So hat Deutsch 13 Gemälde szenisch in eine chronologische Reihe gestellt und der darin zu sehenden Hauptperson eine Geschichte zugeteilt, ein Leben mit Umbrüchen, Glück, Krisen und Neuanfängen. Eigentlich diente Hoppers Frau Josephine als häufiges Modell. Bei Deutsch wird daraus die Schauspielerin Shirley, die sich durch das Amerika der 1930er bis 1960er Jahre bewegt.

Minutenlanges Verharren in einem Raum

Optisch gelingt der Versuch. Dies vor allem, weil Hopper seinen Malstil nie änderte, der Film somit ein durchgehendes Design aufweist. Deutsch schafft es sogar, Hoppers Bilder noch perfekter, noch glatter, ohne jeden störenden Pinselstrich, darzustellen. Er schafft optisch eine Art Ideal-Hopper. Damit ist aber auch schon alles Positive zu „Shirley. Visionen der Realität“ gesagt.

Für heutige Sehgewohnheiten ausgesprochen statisch und langsam inszeniert Deutsch seine 13 Szenen. Nie wird der Bildrahmen verlassen. Optische Auflockerung geschieht allein durch das Zoomen auf Körperdetails und die meist nur leichten Bewegungen der Hauptdarsteller. Dieses minutenlange Verharren in einem Raum macht das handlungsarme Geschehen bei über 80 Minuten Filmdauer zäh.

Die Verweigerungshaltung gegenüber dem schnellen, modernen Kino könnte noch ihren Reiz haben, wenn es für den Betrachter einen inhaltlichen Grund gäbe, das Interesse zu wahren. Meist sieht man Shirley versonnen lesen oder in die Ferne blicken, während ihre inneren Monologe aus dem Off zum Betrachter sprechen. Wenn das von ihr Erzählte interessant wäre, könnte der Film gerettet werden. Doch hier scheitert der 1952 geborene Spät-68er Gustav Deutsch beschämend, indem er die Figur in ein erschreckend plattes politisches Raster preßt. Das Ganze gerät zu einer Aneinanderreihung verstaubter linker Platitüden, die man seit Jahren in zahlreichen Fernsehsendungen und Zeitungsartikeln serviert bekommt. Hier ein wenig postumes Gejammer wegen des scheinbar völlig grundlosen Antikommunismus der McCarthy-Ära, dort ein zum tausendsten Mal gehörter Redeausschnitt von Martin Luther King. Dazwischen eine Hauptfigur, die als „engagierte, emanzipierte“ Frau präsentiert wird, „die sich mit dem herrschenden Rollenbild einer Ehegattin nicht identifiziert und dennoch einen Lebenspartner haben möchte“. Am Ende wird sie nach Europa reisen, um an einem Stück Luigi Nonos mitzuwirken, das dem Vietcong gewidmet ist.

Die langweilige Inszenierung wird also mit einem noch langweiligeren Inhalt und politischer Penetranz ergänzt. Die Hauptfigur wird zur oberflächlichen Trägerin uralter 68er-Klischees ohne individuelle Facetten degradiert. Daß der vielversprechende Versuch so erschütternd gescheitert ist, liegt schlicht daran, daß Deutsch der falsche Regisseur für das Vorhaben war. Einerseits widmete er sich aufwendig Hoppers Bildwelt, beschäftigte sich akribisch mit der Farbgebung und den teils kuriosen Perspektiven der Gemälde, andererseits hegte er Aggressionen gegen den Maler, den er durch die Story bewußt konterkarieren wollte. „Edward Hopper war ein politisch sehr konservativ denkender Mensch, etwas, das ich gar nicht mit ihm teile. Das kann ich durch meine Protagonistin auch umkehren und in eine andere Richtung führen“, äußerte Deutsch.

Hopper hätte demnach eine „extrem rechtslastige Haltung“ vertreten, wäre eine „sehr fragwürdige Person“ gewesen. Auch wären in Hoppers Bildern keine schwarzen Menschen vorgekommen. Somit, so bekundete Deutsch in naiver Freimütigkeit, habe er „Hoppers rassistischer Haltung etwas entgegenhalten“ wollen. So schuf der offenbar vom Zeitgeist plattgewalzte Kopf eines Regisseurs einen inhaltlich weitgehend platten Film. Auch die schönen Bilder reißen das leider nicht mehr heraus. Die kann man nämlich auch im Museum betrachten.

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