© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/14 / 19. September 2014

Französisch in der Form, deutsch im Geist
Die deutsche Propagandazeitung „Gazette des Ardennes“ entwickelte sich während des Ersten Weltkriegs zu einem bedeutenden Presseorgan
Jürgen W. Schmidt

Keine politische Propagandazeitung des Ersten Weltkriegs war von ihrer Wirkung her so erfolgreich wie die im besetzten Charleville gedruckte, französischsprachige Zeitung Gazette des Ardennes. Dort erschien die Zeitung unter Herausgeberschaft des deutschen Rittmeisters Fritz H. Schnitzer vom militärischen Geheimdienst IIIb. Angeblich hatte die Idee zu ihrer Herausgabe der deutsche Generalstabschef Erich von Falkenhayn, welcher damit seinen Geheimdienstchef Major Walter Nicolai beauftragte. Der wiederum reichte die Idee an seinen findigen Mitarbeiter Fritz Schnitzer weiter. Fritz H. Schnitzer (1875–1945) war ein Reserveoffizier, der ab 1900 in den Niederlanden eine Kaffeegroßhandelsfirma betrieb, ehrenamtlich für den deutschen Geheimdienst tätig war und fließend Französisch, Niederländisch und Englisch beherrschte.

Ab dem 1. November 1914 erschien die Zeitung im besetzten Nordfrankreich und stellte ihr Erscheinen erst mit dem Ausbruch der Novemberrevolution 1918 in Deutschland ein. Schon Anfang 1917 war die Zeitung, welche anfänglich nur wochenweise in einer Auflage von 5.000 Exemplaren erschien, zu einem sechsmal wöchentlich mit 175.000 Exemplaren erscheinenden Presseorgan herangewachsen. Als Leserkreis wurde ursprünglich nur an die Bevölkerung des besetzten Nordfrankreichs und Walloniens sowie an die französischen Kriegsgefangenen in deutschen Lagern gedacht.

Doch schnell eroberte sich die Zeitung einen großen Leserkreis in den neutralen Ländern sowie in der frankophonen Westschweiz. Selbst der deutsche Kaiser und der spanische König gehörten zu ihren regelmäßigen Lesern.

Über die Schweiz verbreitete man die Zeitschrift später sogar nach Frankreich. Zeitweise schickten nämlich Schweizer Mittelsmänner des deutschen Geheimdienstes die Gazette des Ardennes an die französischen Parlamentsabgeordneten. Ebenso gelangte die Zeitung per Heißluftballons oder per Flugzeugabwurf massenhaft nach Frankreich. Dort wurde die Zeitschrift, wie die Erinnerungen von Zeitzeugen belegen, rege gelesen. Einerseits waren die französischen Zensurvorschriften streng und die Franzosen daher begierig auf ungefilterte Informationen. Andererseits veröffentlichte die Zeitung regelmäßig Familiennachrichten aus dem besetzten Nordfrankreich sowie die Listen in Deutschland befindlicher französischer Kriegsgefangener. Mit diesem Kunstgriff gewann man die Herzen französischer Leser.

Auf plumpe Propaganda wurde bewußt verzichtet

Doch auch die Tätigkeit von René Prévot, seit März 1915 Chefredakteur der Gazette des Ardennes, trug zum großen Erfolg der Zeitung bei. Prévot, ein französischstämmiger Elsässer und vor dem Krieg Pariser Korrespondent deutscher Zeitungen, kannte die französischen Lesegewohnheiten gut. Er stellte die Zeitung bei seinem Amtsantritt sogleich auf das französische Zeitungsformat um, fügte der Zeitung Illustrierte Beilagen bei und beschäftigte eine ganze Reihe französischer und belgischer redaktioneller Mitarbeiter. Korrektur, Druck und Verpackung lagen sowieso ganz in französischen Händen.

Zudem verzichtete man in der Zeitung auf plumpe Propaganda, sondern beleuchtete streng sachlich die politische und militärische Lage unter deutschem Blickwinkel. Propagandalügen waren dem Herausgeber Fritz Schnitzer verhaßt und so erregte er sich am 24. April 1917 ausweislich seiner Tagebücher sehr darüber, als die Entente-Presse ausgerechnet unter Berufung auf einen Artikel in der Gazette über Tierkadaververwertungsanstalten behauptete, in Deutschland würden die Leichen Gefallener zur Fettgewinnung genutzt.

Der im Dritten Reich als Widerstandskämpfer hingerichtete Schriftsteller Adam Kuckhoff schrieb anläßlich des ersten Jahrestages des Erscheinens der Zeitung anerkennend: „Die Gazette hat nie gegen die französische Bevölkerung geliebdienert, sie hat nicht jedes Mal auf bestimmte Wirkungen gezielt, sie ist von Anfang an ein französisches Blatt in der Form, ein deutsches im Geist gewesen, das heißt sie warb durch sich selbst, durch Liberalität und Wahrhaftigkeit im sicheren Vertrauen, daß die Wirkung ihr als natürlich gereifte Frucht zufallen müsse.“ In Frankreich sah man von offizieller Seite äußerst mißliebig auf die Gazette des Ardennes. Als 1917 die pazifistische Zeitung Bonnet Rouge verboten wurde, beteuerte vor Gericht ein französischer Zensuroffizier deren Verbindung mit der Gazette des Ardennes. Auch der Sturz und das folgende Exil des französischen Innenministers Louis Malvy 1917 und die Verurteilung des französischen Ministerpräsidenten a. D. Joseph Caillaux zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe wegen Hochverrats 1918 wurden seinerzeit mit deren vorgeblicher Verbindung zur Gazette des Ardennes begründet.

Nach dem Krieg verfolgte man die französischen Mitarbeiter der Zeitung streng. und es ergingen sogar drei Todesurteile, von denen eines vollstreckt wurde. In Deutschland ist die Zeitung nebst ihres Herausgebers Fritz Schnitzer, der nach dem Krieg wieder als Kaffeegroßhändler in den Niederlanden tätig wurde, längst vergessen, ganz im Gegensatz zu Frankreich. Aus der Geschichte der Gazette des Ardennes könnten manche deutsche Gazetten zumindest lernen, daß selbst heute Propaganda nicht in jedem Falle plump daherkommen muß und sogar die Verbreitung der Wahrheit manchmal propagandistisch wirken kann.

 

Dr. Jürgen W. Schmidt ist Ko-Autor des Buches Militärischer Alltag und Pressearbeit im Großen Hauptquartier Wilhelms II. – Die „Gazette des Ardennes“ (Verlag Dr. Köster, Berlin 2014, 322 Seiten, Abbildungen, 29,80 Euro).

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