© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/14 / 26. September 2014

Abschied vom ewigen Mißfelder
Deutschlandtag: Mit Paul Ziemiak hat sich die Junge Union einen Vorsitzenden gewählt, der dem Parteinachwuchs von CDU/CSU neues Leben einhauchen könnte
Hinrich Rohbohm

Paul Ziemiak dreht sich um, spurtet eilig zurück an das Rednerpult des JU-Deutschlandtags im bayerischen Inzell. „Wer jetzt hofft, ich würde die Wahl nicht annehmen, den muß ich enttäuschen“, sagt der 29jährige schmunzelnd und beantwortet damit die Frage des Tagungspräsidenten ob er die Wahl annehme. Zuvor hatte der Iserlohner die Wahl zum neuen JU-Bundesvorsitzenden gegen den Osnabrücker Benedict Pöttering gewonnen. Deutlicher als erwartet.

Der Grund dafür: eine fulminante Rede des gebürtigen Stettiners, der im Alter von drei Jahren mit seinen Eltern in die Bundesrepublik übersiedelte. Damals, so sagt er es in seiner Bewerbungsrede, habe er im Kindergarten kein Wort Deutsch gesprochen. Heute steht er vor jubelnden Anhängern, läßt sich für seine mitreißende Ansprache feiern.

Dabei stand der diesjährige Deutschlandtag zunächst unter keinem guten Stern. JU-Chef Philipp Mißfelder kandidierte aus Altersgründen nicht wieder. Zwölf Jahre hatte er den Vorsitz inne. So lange wie kein anderer. Mit seinem Abgang geht eine Ära zu Ende, die Licht- und Schattenseiten aufweist. „Er hat organisatorisch unglaublich viel für die JU getan“, sind sich die meisten Delegierten einig. „Die Deutschlandtage haben inzwischen Event-Charakter“, meint eine Delegierte. Die Teilnahme an einer Geburtstagsfeier für den Altkanzler Gerhard Schröder in St. Petersburg, auf der auch der russische Staatschef Putin anwesend war, nimmt ihm die JU hingegen übel. „Das war inakzeptabel und instinktlos“, meinen selbst Delegierte aus seinem Landesverband.

Unterdessen war im Vorfeld des Deutschlandtages der Kampf um die Nachfolge Mißfelders entbrannt. Benedict Pöttering galt lange als der Kronprinz des 35jährigen. Sein Problem: Er stammt nicht aus dem mitgliederstärksten Landesverband Nordrhein-Westfalen, der seinerseits Ansprüche auf den Vorsitz stellte und den gerade erst zum Landesvorsitzenden gewählten Paul Ziemiak nominierte.

Es folgte ein nicht immer sauberer Bewerbungsmarathon der Kontrahenten durch die Verbände. Ziemiak-Gegner rieben dem Iserlohner sein abgebrochenes Jura-Studium unter die Nase. Pöttering-Kritiker verpaßten dem Osnabrücker den Spitznamen „Bäm“, nachdem herauskam, daß der 31jährige seine E-Post nicht selbst beantwortet und eine Randnotiz mit dem Kürzel Bäm versehentlich in ein Antwortschreiben kopiert worden war.

Zu Beginn seiner Rede wirkt der JU-Vize nervös, fahrig, macht lange Pausen, übertriebene Gesten. Als ihm ein Glas Wasser gereicht wird, sagt er: „Wer weiß, ob da Schlaftropfen drin sind.“ Peinliches schweigen. An anderer Stelle sagt er: „Ihr dürft jetzt ruhig klatschen.“ Hämisches Grinsen bei den NRW-Delegierten. Entsetzte bis ungläubige Gesichter bei den Niedersachsen und der Bayern-JU, die aus Solidarität trotzdem Beifall zollen. „Das Ding ist durch“, bringt es ein JUler aus Baden-Württemberg nach der Rede auf den Punkt.

Da hatte Ziemiak seine starke Rede noch gar nicht gehalten. Entsprechend deutlich fällt das Ergebnis aus. 63 Prozent votieren für Ziemiak, der nach seiner Wahl politischen Instinkt beweist. „Benedict, komm her, ruft er dem Unterlegenen zu, nimmt ihn in den Arm, reckt mit ihm gemeinsam die Hand in die Höhe. Ein Symbol der Versöhnung und das Signal an die Basis, geschlossen den Kurs der Mutterpartei kritisch, aber konstruktiv zu begleiten.

Die Erwartungen, daß die JU dem Linkskurs Merkels wieder ureigene christdemokratische Akzente entgegensetzt, sind groß. „Wir wünschen uns, daß die JU unter Paul mehr konservative Werte in unsere Mutterparteien hineinträgt und energischer darauf drängt, daß unsere Forderungen auch umgesetzt werden“, sagt etwa der Vizechef des Konservativen Aufbruchs in der CSU, David Bendels. Ein Wunsch, mit dem der bayrische Delegierte nicht alleine dasteht. „Wenn die Union keine Kurskorrektur vornimmt, werden wir massiv Wähler an die AfD verlieren“, befürchten nicht wenige CDU-Nachwuchspolitiker.

Mit der bürgerlichen Konkurrenz setzte sich erstmals auch Angela Merkel auseinander, nachdem sie ein JU-Delegierter mit der Frage konfrontierte, wie die Kanzlerin auf die AfD reagieren wolle. „Was die fordern, hat mit CDU-Programmatik nichts zu tun“, entgegnete Merkel. CSU-Ehrenvorsitzender Edmund Stoiber arbeitete sich ganze 15 Minuten an der AfD ab. „Ich habe den Lucke anfangs unterschätzt“, gesteht er den 316 JU-Delegierten. Die Union müsse die AfD nun inhaltlich stellen.

Hinter den Kulissen herrscht bei der JU jedoch ein anderer Ton. „Wenn sich die vernünftigen Leute in der AfD durchsetzen, kann ich mir vorstellen, daß wir mit denen später koalieren“, meint ein Delegierter aus Rheinland-Pfalz.

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