© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/14 / 26. September 2014

Pankraz,
H. Löns und der alte Mümmelmann

Er starb genau so, wie er seine Lieblingsschöpfung, den alten dreibeinigen Hasenrammler Mümmelmann, sterben und begraben werden ließ und wie auch er selbst wohl hat sterben und begraben werden wollen: er wurde verschlungen, aufgefressen. Mümmelmann wurde vom Fuchs Reinke Rotvoß aufgefressen, seinen Schöpfer Hermann Löns verschlang der Krieg, der Erste Weltkrieg, am 26. September 1914 vor genau hundert Jahren.

Voraufgegangen war ein bürokratisches Hickhack. Löns hatte sich als Kriegsfreiwilliger gemeldet, aber niemand wollte ihn haben; er war ja ein hochberühmter Schriftsteller („Bestsellerautor“ würde man heute sagen), er sollte lieber zu Hause bleiben und Bücher schreiben. Außerdem war er schon 48 Jahre alt und von schlechter Gesundheit, vom Alkohol gezeichnet, hatte nie gedient, war ohne jede militärische Ausbildung.

Die Heeresleitung versuchte, ihn als Kriegsberichterstatter in ihrem Stab unterzubringen, doch der Dichter weigerte sich. Er wollte unbedingt als einfacher Infanterist den Sturmtruppen der vordersten Frontlinie zugeteilt werden, und da er so berühmt war und die besten Beziehungen hatte, fügte man sich schließlich seinem Willen. Es kam, wie es kommen mußte. Bereits beim ersten Sturmangriff gegen französische Truppen bei der Zuckerfabrik von Loivre, etwa zehn Kilometer nördlich von Reims, fiel Hermann Löns, und nicht einmal sein Leichnam konnte geborgen werden.

Er blieb wie die anderen Gefallenen im Niemandsland zwischen den Schützengräben liegen, wurde später während der kurzen Feuerpausen nur notdürftig verscharrt, und der Kompaniechef fertigte eine ungefähre Lageskizze an. Erst 1918 wurde ein deutsches Kommando zur Suche nach dem Löns-Grab in die Gegend geschickt. Anhand der Lageskizze errichtete man ein Kreuz mit einer Widmung für Löns – doch ob es die richtige Grabstelle war, blieb fraglich.

Nach dem Krieg wurden die Gebeine wieder ausgegraben und auf einem nahe gelegenen Militärfriedhof beigesetzt; 1933 wurden sie – angeblich auf Befehl Hitlers – nach Deutschland überführt. Aber es gibt keinen Beweis dafür, ob es auch wirklich die Gebeine des Dichters waren. Eine gerichtsmedizinische Untersuchung (zum Beispiel des Zahnstatus) durch Ärzte, die Löns behandelt hatten, fehlt. Und auch eine verläßliche Erkennungsmarke, die dem Skelett angeblich beigelegen habe, ist nie vorgezeigt worden. Krieg und Nachkriegswirren haben sie verschlungen.

Pankraz ist sich ziemlich sicher, daß Löns mit dieser Konstellation sehr einverstanden gewesen wäre, fühlte er sich doch sein Leben lang als Jäger wie als Gejagter, als Fährtenleser wie Spurenverwischer. Dieser in Westpreußen geborene Sohn eines westfälischen Gymnasiallehrers war alles andere als ein Stiftlergeschmäckchen. Seine Ausbildung blieb lückenhaft, seine Beziehung zur bürgerlichen Gesellschaft, der er entstammte, heikel und eher ablehnend. Er war, wie man damals zu sagen pflegte, ein typisches Stadtgewächs, dem Alkohol zugetan, stenzhaft, eine Mischung – wenn man will – aus Hells Angel und Zupfgeigenhansl.

Seine unverbrüchliche Liebe zur Natur, der er seit frühester Jugend verfallen war, hielt sich gänzlich frei von jeglicher Romantik oder kindlicher Solidarisierung mit den Tieren oder ihrer Verputzigung. Tierwelten waren für Löns Erwachsenenwelten. Die Hasen und Krähen, Füchse und Eulen, die er in seinen Geschichten auftreten läßt, tragen durch die Bank hochachtbare bürgerliche Namen und sprechen sich auch damit an, freilich immer in niederdeutscher Mundart, wie es sich in der Heide gehört. Haanrich Mümmelmann unterhält sich mit Kunrad Flinkfoot, Jochen Pielsteert mit Fritze Pattlöper.

Nicht die Spur von Romantik oder Verkindlichung auch in den Fabeln von Löns’ Werk. Es geht faktisch immer um Tod oder Leben, Schießen oder Erschossenwerden. Die Geschichte seines berühmtesten Werkes, eben „Mümmelmann“, besteht aus der Schilderung einer wüsten Treib- und Einkreisjagd halbbesoffener menschlicher Niedersachsen aus der Sicht Mümmelmanns und wie es ihm gelingt, das Schlimmste von sich und den Seinen abzuwenden.

Da richtete sich der alte Hase steif auf, hoppelte in gerader Linie voran, gerade auf die Lücke zwischen den beiden Schützen zu, ganz langsam, bis er fast in Schußnähe war, witschte dann nach links, schlug einen Haken nach rechts, einen nach links, einen nach rechts, sah noch eben, wie zwei Gewehrläufe in der Luft herumfuhren, wie Schwänze von Kühen, um die die Bremsen sind, und dann gab er her, was er in sich hatte, fuhr durch die Lücke, schlug sieben Haken, hörte einen Knall, einen Schrei, einen Fluch, nähte aus, bis er nichts mehr hörte, und dann machte er ein Männchen und äugte zurück.“

Am Ende versammeln sich alle Hasenbürger, die das Schlachten überlebt haben, und Mümmelmanns Augen werden starr, und er wird zum Propheten.

„Der Mensch“, spricht er, „ist auf die Erde gekommen, um den Bären zu töten, den Luchs und den Wolf, den Fuchs und das Wiesel, den Adler und den Habicht, den Raben und die Krähe. Alle Hasen, die in der Üppigkeit der Felder und im Wohlleben der Krautgärten die Leiber pflegen, wird er auch vernichten. Nur die Heidhasen, die stillen und genügsamen, wird er übersehen, und schließlich wird Mensch gegen Menschen sich kehren, und sie werden sich alle ermorden. Dann wird Frieden auf Erden sein.“

Irgendwie trostreich zu dieser düsteren Prognose steht am Anfang der Erzählung (zumindest in dem Exemplar, das Pankraz besitzt) ein feines kleines Gedicht des Autors; es sei hier also auch noch zitiert: „Es gibt nichts Totes auf der Welt, / Hat alles sein’ Verstand, / Es lebt das öde Felsenriff, / Es lebt der dürre Sand. / Laß deine Augen offen sein, / Geschlossen deinen Mund / Und wandle still, so werden dir/ Geheime Dinge kund. / Dann weißt du, was der Rabe ruft /Und was die Eule singt, / Aus jeden Wesens Stimme dir / Ein lieber Gruß erklingt.“

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen