© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/14 / 26. September 2014

Das erdichtete Gefühl der Leichtigkeit
Festschreibung eines Paradieses: Das gemeinsame Tagebuch der Eheleute Hawthorne
Sebastian Hennig

Wir lesen das Tagebuch zweier Liebesleute, die sich ins häusliche Leben einüben. Der schüchterne US-Schriftsteller und Einzelgänger Nathaniel Hawthorne (1804–1864) war schon Ende Dreißig, als er Sophie Peabody ehelichte. Der Bostoner war ein Eremit der Großstadt. Ein erster Ruhm hatte ihn aus der urbanen Abgeschiedenheit in die Kreise des „Trancendental Club“ um Ralph Waldo Emerson und Henry David Thoreau versetzt. Doch deren sozialreformerischer Ansatz blieb ihm fremd. Die mehrmonatige Landarbeit in der Kommune „Brook Farm“ empfand der Literat und Stadtmensch als erniedrigend.

Seine Braut verlebte eine kränkliche Kindheit. Die Ehe sollte für sie nicht in Frage kommen. Nathaniel wurde zunächst der Gesellschafter ihrer Schwester Elizabeth. Doch die Eigenbrötler mußten sich finden. Ihn quälte die Zwickmühle zwischen dem Wunsch nach Familienleben und seinen literarischen Ambitionen. Skrupel von Sophies Seite führten beinahe noch zur Auflösung der Verbindung. Doch sie fanden zusammen und bezogen das altväterlische Pfarrhaus in Concord im US-Bundesstaat Massachusetts.

Das Holzhaus erhielten die Eheleute vom Freund Ezra Ripley überlassen, der es sich aus der Emerson-Familie erheiratet hatte. Es ist noch gut erhalten und beherbergt heute eine Dichtergedenkstätte mit patriotischer Färbung. Hatte doch der alte Reverend William Emerson hier vom Fenster aus am 19. April 1775 einen wichtigen Kampf des Unabhängigkeitskrieges beobachtet. Auch Hawthorne kommt darauf zu sprechen.

Das Manuskript des gemeinsamen Tagebuchs ist 2005 als Faksimile erschienen. Nach dieser Ausgabe hat es Alexander Pechmann nun ins Deutsche übertragen. Sophie Hawthorne hatte die Aufzeichnungen nach dem Tode ihres Mannes mit Retuschen, Schere und Klebeband zu einer Fassung zusammengestutzt. Einige verdeckte Passagen wurden inzwischen wieder lesbar gemacht. Die frühe Erstveröffentlichung zeugt von der Schätzung des literarischen Werts. Nur allzu schnell ist man bereit, die verwandtschaftliche Redigierung als eine Entstellung anzusehen. Doch Sophie war ja nicht nur die Herausgeberin, sondern Mitautorin. So wie seine Aufzeichnungen vom Bild ihrer Person erhellt sind, gibt sie ihrerseits die tiefe Zuneigung zum Gatten kund. Der heroische Ansatz, das eigene Leben als etwas Gelungenes und Bedeutendes zu beschreiben, teilt sich uns vollständig mit. Vielleicht wurde es durch ihre Bearbeitung sogar deutlicher.

Gerade zu Beginn bietet Nathaniel Hawthorne seine ganze Beredsamkeit auf, um hinter dem anhaltend trüben Wetter und in den Schlammfluten des nahen Concord River die Sonne nicht aus den Augen zu verlieren. Er schreibt: „Auch heute noch ein öder Tag, der Regen verspricht, dem es aber an Charakterstärke fehlt, um es richtig regnen zu lassen.“ Und beim Flußspaziergang stellt er fest: „Dieser unser Fluß ist der schlammigste Strom, den ich je gesehen habe.“

So wie seine Frau durch ihre Blumenarrangements, das Geschick im Einrichten mit neuen Möbeln und Tapeten die bedrückende Lokalität heiterte, so schält er mit seinen Worten den Paradies-Anteil aus der umgebenden Natur heraus. Er berichtet, wie es an einem frischem Brunnen mangelt, dafür aber Obst in Fülle wächst. Das alte Testament und die Dichter leihen oft ihre Gestalten und Verse her für diesen festen Willen zum feierlichen Leben.

Leicht gewesen ist es in jenen Monaten nicht für das Paar. Die ökonomische Lage war fast immer bedrückend, die Stimmung häufig niedergeschlagen. Das Gefühl der Leichtigkeit ist erdichtet. Um das Zusammensein literarisch zu feiern, hat er sich stundenlang im Arbeitszimmer vereinzelt oder sich von ihr dorthin verweisen lassen: „... sie hat mich, um sicherzugehen, daß ich ihr gehorche, in den kleinen, drei Quadratmeter großen Raum verbannt, den man irrtümlich mein Arbeitszimmer nennt.“

Die Standhaftigkeit, mit der die Trübsal umgeschrieben wird, macht den Leser des Buchs selbst fröhlich. Hawthorne war wohl ein Pessimist von Schopenhauerschem Ausmaß. Seine Notizen sind stellenweise fast drollig. Das ganz Banale wird vornehm, wenn er von den gelegentlichen Fleischgerichten schreibt: „...und wir haben die Tischsitten von Adam und Eva derart kultiviert, daß wir für unsere Festmähler üblicherweise mit einem köstlichen Stück Kalb oder Lamm aufwarten, deren makellose Unschuld sie zu dem Glück berechtigt, uns als Nahrung zu dienen.“

Das Tagebuch endet vier Monate vor der Geburt der Tochter Una im März 1844. Im Oktober des Folgejahres verläßt die Familie das Haus. Hawthornes Erzählungssammlung „Mosses From an Old Manse“ (1846) entrückte das Pfarrhaus in Concord bald danach in den belletristischen Adelsrang.

Sophia & Nathaniel Hawthorne: Das Paradies der kleinen Dinge. Ein gemeinsames Tagebuch. Mit einem Vorwort von Peter Handke, Jung und Jung, Salzburg/Wien 2014, gebunden, 19,90 Euro

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