© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/14 / 26. September 2014

Selbstbewußte Aristokratie
Europäisches Netzwerk: Eine Ausstellung zur Bronzezeit in der Arche Nebra
Karlheinz Weissmann

In den entwickelten Gesellschaften West- und Mitteleuropas gehören zwischen zehn und fünfzehn Prozent der Bevölkerung zu den Wohlhabenden und Reichen. Sie bilden eine Art erweiterte Elite. Selbstverständlich haben nicht alle direkten Zugang zur Macht, aber ihnen selbst oder ihren Nachkommen kann sich ein solcher Zugang eröffnen. Sie verfügen über Kontakte, Manieren, die notwendige Bildung und die notwendige Intelligenz. Die anderen sind ausgeschlossen.

Dieses Faktum widerspricht selbstverständlich dem egalitären Jargon, der gleichzeitig herrscht, aber es wäre besser, den Sachverhalt zur Kenntnis zu nehmen, denn es gibt wenig Grund zur Annahme, daß sich an den Gegebenheiten etwas ändert. Eine Hauptursache: Es geht um ein Phänomen der longue durée (Fernand Braudel), der „langen Dauer“.

Darauf verweist auch das immer klarer gezeichnete Bild der Bronzezeit, der ersten Epoche, die uns gewisse Rückschlüsse auf die Sozialstruktur der Vorgeschichte erlaubt. Die Bronzezeit kannte in mancher Hinsicht schon die Einheit Europas, lange vor Athen, Rom und der Verbreitung der christlichen Lehre. Die Sonderausstellung der Arche Nebra „Die Herrscher der Bronzezeit – Wandel der Eliten in Mitteldeutschland“ illustriert das auf gekonnte Weise, indem sie Funde präsentiert, die den außergewöhnlichen Reichtum der Region zwischen 2300 und 1600 vor Christus zeigen und deren Bedeutung für ein große Teile Europas erfassendes Netzwerk. Auch wenn uns schriftliche Zeugnisse fehlen, wird doch deutlich, daß die damals errichteten Grabanlagen Ausdruck des Selbstbewußtseins einer Führerschicht waren, die es vorher so nicht gab. Die in den Gräbern enthaltenen Funde, etwa die des Fürstengrabs von Leubingen, bestanden nicht nur aus Keramikgefäßen, sondern auch aus goldenen Ringen und Armreifen, Axtklingen und sogenannten „Stabdolchen“, die von den Archäologen als Herrschaftszeichen gedeutet werden. Zu den Beigaben gehörten aber auch Werkzeuge, vor allem Meißel, Keile und ein Wetzstein, die darauf hindeuten, daß der „Fürst“ mit Metallbearbeitung zu tun hatte.

Tatsächlich dürfte die Verfügung über Salz und Metall die wesentliche Machtgrundlage der bronzezeitlichen Aristokratien gewesen sein. Ihr Aufstieg hing eng damit zusammen, daß das südliche Sachsen-Anhalt und das angrenzende Thüringen Zentren der „Aunjetitzer Kultur“ waren, die im Austausch mit anderen Gebieten auf dem Kontinent und im Mittelmeerraum standen. Deren religiöse und politische Symbolsysteme wiesen einen erstaunlichen Grad an Einheitlichkeit auf, und dasselbe wird man für die weitergehende Differenzierung des Gesellschaftsaufbaus annehmen dürfen. Dabei ging es natürlich nicht nur um den Zugriff auf Ressourcen oder Verkehrswege, sondern auch und gerade um die Kontrolle des Kultus.

Daß der mit astronomischen Kenntnissen zu tun hatte, war schon aus dem Fund der Himmelsscheibe bei Nebra zu folgern. Selbstverständlich spielt auch deren Hort eine wichtige Rolle in der Ausstellung, zumal er Hinweise auf die Gründe für das Ende der Aunjetitzer Kultur liefern kann.

Aufschlußreich sind jedenfalls nicht nur die Umarbeitungen beziehungsweise Ergänzungen der Scheibe, die auf veränderte Glaubensvorstellungen hinweisen, sondern auch die Beigabe von zwei Schwertern. Diese sogenannten „Sögeler Schwerter“ waren um 1600 vor Christus die modernsten Waffen ihrer Zeit. Ihr Auftauchen signalisierte das Ende der „Fürstenzeit“ und das Auftreten eines neuen „Schwertadels“. Den Begriff verwendet die Archäologie nur hilfsweise, denn mehr als Indizien für den Umbruch haben wir nicht.

Immerhin spricht das Verschwinden der alten Großgräber, an deren Stelle deutlich flachere traten, die relative Ärmlichkeit der Ausstattung und die Bedeutung des Schwertes als Rangzeichen dafür, daß neue und unruhige Zeiten anbrachen. Sehr wahrscheinlich hing dieser Umsturz mit einer Verlagerung der Handelsverbindungen nach Osten und dem Schwinden der ökonomischen Bedeutung des mitteldeutschen Bereichs zusammen; denkbar ist aber auch eine feindliche Invasion, ein Einfall von Barbaren, der in der Geschichte regelmäßig eine hochkulturelle Blüte beendete und für eine Phase des Übergangs den Kriegern den ausschlaggebenden Rang einräumte.

Die Ausstellung „Die Herrscher der Bronzezeit – Wandel der Eliten in Mitteldeutschland“ ist bis zum 2. November in der Arche Nebra, An der Steinklöbe 16, täglich von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Telefon: 03 44 61 / 25 52-0

www.himmelsscheibe-erleben.de

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