© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/14 / 26. September 2014

Die Temperamente der Völker
Von der Empirie bestätigt
Andreas Vonderach

Thilo Sarrazin und Volkmar Weiss haben in ihren Büchern auf die Intelligenzunterschiede zwischen den Völkern und auf ihre Bedeutung für die weltweiten Entwicklungsunterschiede und die Integration von Einwanderern hingewiesen. Es gibt indessen einen weiteren Faktor, dessen völkerpsychologische und gesellschaftspolitische Bedeutung mindestens ebenso groß ist: das Temperament.

Daß die Völker sich in ihrem Temperament unterscheiden, ist seit jeher bekannt. Seit der Antike gibt es literarische Völkerbeschreibungen, die oft in erstaunlichem Ausmaß mit Erfahrungsberichten aus neuerer Zeit übereinstimmen. Heute werden solche Beschreibungen von der Ethnologie vor allem als Vorurteile und Stereotypen betrachtet, womit ihre sachliche Unrichtigkeit unterstellt wird. Dabei wird regelmäßig übersehen, daß es inzwischen ein umfangreiches empirisches Datenmaterial über Verhaltensunterschiede zwischen den Völkern gibt, das seit den 1960er Jahren von der kulturvergleichenden Psychologie gewonnen wurde. Das beruht überwiegend auf standardisierten Persönlichkeitsfragebögen, aber auch auf Tests und systematischen Verhaltensbeobachtungen. Diese zeigen vor allem einen weltweiten Gegensatz zwischen individualistischen und kollektivistischen Kulturen.

Zu den individualistischen Ländern gehören alle europäischen Länder außer Rußland und das orthodoxe Südosteuropa, außerdem auch die USA und die anderen angelsächsischen Länder in Übersee sowie Israel. Kollektivistisch sind praktisch alle nichteuropäischen Länder einschließlich Rußland und China.

In kollektivistischen Kulturen versteht sich das Individuum in erster Linie als Angehöriger einer Gemeinschaft, oft einer Großfamilie oder Sippe, die ihm Schutz gewährt und der er unbedingte Loyalität schuldet. Sie bildet die Hauptquelle der Identität. Ein Bruch der Loyalität zu ihr gehört zu den schlimmsten Vergehen eines Menschen. In individualistischen Kulturen verstehen sich die Menschen in erster Linie als Einzelin-dividuen. In individualistischen Kulturen sind die Bindungen zwischen den Individuen lockerer, und an die Stelle von Gruppenloyalitäten sind Gesetze und allgemeine Prinzipien getreten.

Während der Gegensatz zwischen Individualismus und Kollektivismus vor allem auf die in einer Gesellschaft geltenden Werte zielt, weisen andere Ergebnisse der kulturvergleichenden Forschung auf tiefergehende Unterschiede des Temperaments hin. So bestätigen sie zum Beispiel das stark extravertierte, gesellige Temperament und die gelöste Grundstimmung der Schwarzafrikaner und den introvertierten Charakter der Ostasiaten. Letztere weisen nur ein geringes Bedürfnis nach Aufregung auf. Sicherlich hat die wirtschaftliche Führungsrolle der Auslandschinesen in ganz Südostasien nicht nur mit deren Intelligenz, sondern auch mit Fleiß und Selbstdisziplin zu tun.

Empirische Befunde bestätigen das ruhige Temperament der Nordeuropäer und das lebhafte, expressive und gesellige der Südeuropäer. Nordeuropäer empfinden Ruhe häufiger als angenehm und Aufregung häufiger als unangenehm als Südeuropäer. Schweden sind introvertierter und weniger kontaktfreudig als Amerikaner. Dafür haben Nordeuropäer ein starkes Tätigkeitsbedürfnis. Die Daten bestätigen außerdem das stoische, emotionslose Temperament der meisten indianischen Völker, sowohl in Nord- als auch in Südamerika, das extravertierte der europäischstämmigen Lateinamerikaner, das nach innen gerichtete und passive Wesen der Inder und die Anpas-sungsbereitschaft und Liebenswürdigkeit der Südostasiaten.

Schon antike Autoren wie Claudius Ptolemäus haben aus Nordafrika und dem Nahen Osten von der Aggressivität der Bewohner, vom starken Sexualtrieb der Männer und der Verschleierung und Wegsperrung der Frauen berichtet, lange vor dem Islam.

Araber zeichnen sich durch außerordentliche Reizbarkeit und Impulsivität bei eher ruhigem Grundtemperament aus. Choleriker sind bei ihnen zwei- bis dreimal so häufig wie bei Europäern. Arabische Beduinenkinder zeigen eine starke Impulsivität, die schnell in offene Aggressivität umschlagen kann. Schon antike Autoren wie Claudius Ptolemäus und Ammianus Marcellinus haben aus Nordafrika und dem Nahen Osten von der Aggressivität der Bewohner, von dem starken Sexualtrieb der Männer und der Verschleierung und Wegsperrung der Frauen berichtet, lange vor dem Islam.

Bereits die Untersuchungen, die der amerikanische Psychologe Daniel G. Freedman um 1970 an Neugeborenen durchführte, zeigten, daß diesen Temperamentsunterschieden genetische Faktoren zugrunde liegen müssen. Freedman untersuchte Neugeborene in den ersten 48 Stunden nach ihrer Geburt mit bestimmten Provokationstests. Er wählte Mütter aus, die gleichaltrig waren, gleich viele Geburten hinter sich hatten, derselben Sozialschicht angehörten, dieselbe Schwangerschaftsberatung und die gleichen Medikamente erhalten hatten.

Freedman fand erhebliche Verhaltensunterschiede. Weiße Babys beginnen leichter zu schreien und sind schwerer wieder zu beruhigen. Chinesische Babys sind fast mit jeder Lage zufrieden, in die man sie bringt, und passiver und weniger leicht erregbar. Die europäischen Säuglinge unterliegen in ihren Stimmungen größeren Schwankungen und reagieren stärker auf Störungen ihres Wohlbefindens oder auf akustische und optische Reize. Freedman, der auch Verhaltensuntersuchungen an jungen Hunden durchgeführt hat, kam zu dem Schluß, daß die verschiedenen Menschenrassen bereits nach der Geburt Verhaltensunterschiede zeigen, die genauso stark ausge-prägt sind wie bei Hunderassen!

Bei weiteren Untersuchungen zeigte sich, daß chinesische Babys in Asien dasselbe Verhalten zeigen wie Babys chinesischer Herkunft in Amerika. Negride Säuglinge sind dagegen ähnlich reizbar wie die europiden, schreien aber nicht so stark und sind leichter wieder zu beruhigen. Sie zeigen vor allem besser entwickelte motorische Fähigkeiten und stärkere Reflexe, viele von ihnen können schon bei der Geburt den Kopf hochhalten. Bei negriden Säuglingen in Afrika sind die Charakteristika amerikanischer Negrider noch ausgeprägter.

Bemerkenswert ist, daß nicht nur japanische Neugeborene, sondern auch die der nordamerikanischen Navajo-Indianer in Arizona ein ähnliches Verhalten wie die chinesischen Säuglinge zeigen. Die Navajo sind wie alle indianischen Völker aus Nordostasien nach Amerika eingewandert. Ihre Säuglinge sind sogar noch ruhiger und friedlicher als die chinesischen. Sie sind von allen untersuchten ethnischen Gruppen die am wenigsten reizbaren und die passivsten Neugeborenen. Südindische Neugeborene sind weniger empfindlich und reizbar als die europäischen Babys und leicht zu beruhigen. Sie besitzen eine ausgeprägte Fähigkeit, unangenehme Reize zu ignorieren.

Die Säuglinge australischer Ureinwohner haben dagegen ein ganz eigenständiges Merkmalsprofil, zu dem ebenso große motorische Fähigkeiten gehören wie bei den afrikanischen Negriden, aber auch eine ähnliche Passivität wie bei den Mongoliden. Sie haben den höchsten Wert für Wachsamkeit und die ausgeprägteste Verteidigungsreaktion.

Untersuchungen an etwas älteren Kindern vervollständigten das Bild. Maya-­Babys in Mexiko sind demnach in ihren Bewegungen ebenso reduziert wie die der Navajos. Die Babys aus dem Nahen Osten und Griechenland haben das schwierigste Temperament, sie sind am negativsten gestimmt und schreien am meisten. Diejenigen italienischer Herkunft nehmen eine Mittelstellung zwischen denen aus dem Nahen Osten und aus den nordeuropäischen Ländern ein.

Erkenntnisse über die unterschiedliche Verbreitung von Genen und deren Wirkung auf Botenstoffe im Gehirn bestätigen die Befunde über die wahrgenommenen charakterlichen Dispositionen von Ostasiaten, Nord­europäern oder Amazonas-Indianern.

Neuerdings haben wir auch Befunde über die unterschiedliche Verbreitung von Genen, die durch die Wirkung auf Botenstoffe im Gehirn, die sogenannten Neurotransmitter, das Verhalten beeinflussen. So verstärkt das 7er-Allel des Dopamin-Rezeptor-Gens 4 (DRD4) das Merkmal „Novelty seeking“, das soviel wie das Bedürfnis nach Neuem und Abenteuerlust bedeutet. Das Allel kommt bei Europäern zu 16 Prozent vor und fehlt bei Ostasiaten ganz. Letzteres bestätigt deren angepaßten, disziplinierten Charakter. Den höchsten Wert hat dieses Allel bei den Amazonas-Indianern, was gut zu deren herausforderndem Verhalten paßt, wie Irenäus Eibl-Eibesfeldt es schon beschrieb („Menschenforschung auf neuen Wegen. Die naturwissenschaftliche Betrachtung kultureller Verhaltensweisen“, Wien 1976). In Europa ist das „abenteuerlustige“ Allel bei Nordeuropäern etwas häufiger als bei Süd- und Osteuropäern. Eine besondere Mutation des 7er-Allels, die ebenfalls mit „Novelty seeking“ korreliert ist, findet sich besonders häufig bei den polynesischen Südseeinsulanern, den Nachkommen wagemutiger Seefahrer.

Ein anderes Gen ist das Serotonin-Transporter-Gen (SERT), dessen kurzes Allel mit Neurotizismus (Labilität) und Schadensvermeidung korreliert ist. Das heißt, seine Träger neigen mehr zu negativen Emotionen und sind vorsichtiger und ängstlicher. Mit 70 bis 80 Prozent ist das kurze Allel am häufigsten bei den Ost­asiaten, was gut mit deren zurückhaltendem und sozial angepaßtem Temperament übereinstimmt, gefolgt von den Indern mit 59 Prozent. Europäer haben das kurze, „neurotische“ Allel zu 35 bis 50 Prozent. Am seltensten ist es mit 24 bis 28 Prozent bei den Afrikanern, was gut zu deren wenig neurotischem Charakter paßt.

Das Monoaminooxidase A-Gen (MAOA) spielt bei dem Abbau des Streßhormons Noradrenalin eine Rolle. Bei seinem 2er-Allel wird das Nor­­­­ad­renalin weniger gut abgebaut. Die Träger dieses Allels können aggressive Impulse weniger gut kontrollieren. Da das Gen auf dem X-Chromosom liegt, sind in erster Linie Männer betroffen (Frauen haben noch ein zweites X-Chromosom). Es besteht ein starker Zusammenhang des 2er-Allels mit aggressivem und antisozialem Verhalten. Unter amerikanischen Gefängnisinsassen ist das 2er-Allel – die Rassenunterschiede bereits herausgerechnet – dreimal häufiger als in der Normalbevölkerung.

Von völkerpsychologischem Interesse ist die Weltverteilung des MAOA 2er-Allels. Es kommt nur bei 0,1 bis 0,5 Prozent der Europäer vor. Bei (amerikanischen) Negriden ist es mit Werten von 4,7 bis 5,5 Prozent schon deutlich häufiger. Bei Chinesen kommt es nach den bisherigen Untersuchungen überhaupt nicht vor.

Bemerkenswert ist das Ergebnis einer im Jahr 2012 veröffentlichten Studie aus Saudi-Arabien (Molecular Biology Reports 39, 2012, 11081-11086). Danach besitzen 15,6 Prozent der Araber das MAOA 2er-Allel. Ein Befund, der die vielen Berichte über die Impulsivität und Aggressivität der Araber bestätigt. Die Temperamentsunterschiede der Völker sind dabei ganz offensichtlich nicht nur akademisch interessant, sondern auch von großer außen- und gesellschaftspolitischer Bedeutung.

 

Andreas Vonde­rach, Jahrgang 1964, ist Historiker und Anthropologe. Er war an verschiedenen norddeutschen Museen tätig und lebt heute als Buchautor und Publizist in Oldenburg. Auf dem Forum schrieb er zuletzt über Stereotypen („Sehr hilfreich“, JF 32/13).

Andreas Vonde­rach: Völkerpsychologie. Was uns unterscheidet, Verlag Antaios, Schnellroda 2014, 448 Seiten, gebunden, 29 Euro

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