© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/14 / 26. September 2014

Der Flaneur
Malerisch im Konjunktiv
Josef Gottfried

Die Coventrystraße: Bestimmt vier Kilometer den Berg hinunter, von der A17 bis zur Friedrichstadt, zwei Spuren in jede Richtung, baulich getrennt, Fußgängerwege, Schallschutzwände, Straßenbahnlinie. Nie habe ich dort einen Stau erlebt, da haben ein paar Ingenieure wirklich an alles gedacht. Nur das beklemmende Gefühl, daß es hier einst malerisch gewesen sein muß. Wo man damals, von den Dörfern kommend, Gompitz, Ockerwitz, Omsewitz, wie sie alle heißen, einen atemberaubenden Blick auf mein Dresden hatte, ist man heute mit 80 Kilometern pro Stunde rund 20 zu schnell und empfängt Radioprogramm vom Tschechen.

Wie sie so an mir vorbeirauschen, schauen wir uns kurz an. Wir verstünden uns wohl gut.

Wie auch immer: Gerade gehe ich den Fußgängerweg entlang, nach unten, als natürlicher Teil dieses Ganzen hier. Mir kommen zwei Frauen in zügigem Schritt entgegen, schnaufend, heiter, plaudernd, mit sportlich anmutenden Gehstöcken in ihren vierzigjährigen Händen. Und wie sie so an mir vorbeirauschen, mit ihrer Sportbekleidung, die zu genau zeigt, was sie noch so können wollen, schauen wir uns kurz an. Ich halb neugierig auf das, was sie tun, sie halb stolz darauf. Wir verstünden uns wohl gut, wenn wir uns in Cotta in der Kneipe träfen, trinkend und rauchend, im „Leutz“ vielleicht oder, besser noch, in „Dinger’s Bierstube“, wo ich mein Feldschlößchen am liebsten trinke.

Wir kämen auch ins Gespräch, sobald ich ein wenig angeheitert wäre, gäben uns gegenseitig Feuer, würden auch mal ein Likörchen wagen, keck die Hände tätscheln und, nach kurzem Blick (nur zur Sicherheit) ins Portemonnaie, gäbe ich auch mal eine Runde für uns drei und den, der sich mit in das Gespräch eingeklinkt hat. So wär das dann.

Tja. Ich erreiche die Fußgängerampel, die Ingenieure hatten ja an alles gedacht, und beantrage mit einem Handreiben an der Schaltanlage den Übergang zur anderen Seite der Coventrystraße. Sie läßt mich nur kurz warten, dann wird es grün, und ich darf gehen.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen