© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/14 / 03. Oktober 2014

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Die Regierung antwortet nicht
Christian Schreiber

Norbert Lammert gilt als außergewöhnlich besonnener Mann. Lautstarke und emotionale Ausbrüche sind nicht seine Welt. Doch in der vergangenen Woche ist der Bundestagspräsident richtig aus der Haut gefahren. Auslöser war das Verhalten der Bundesregierung. Die Sitzungswoche des Parlaments beginnt stets mit dem Tagesordnungspunkt „Befragung der Bundesregierung“. Doch am vergangenen Mittwoch nahm kein einziger Minister daran teil. Zu dem von der Regierung selbst vorgeschlagenen Thema, dem Stand der deutschen Einheit, erschien nur die parlamentarische Staatssekretärin Iris Gleicke. Laut Geschäftsordnung des Bundestags ist dies aber Aufgabe der Minister.

Lammert machte diesen Vorfall zum Thema im Ältestenrat. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtete, sagte Lammert auf der Sitzung, er werde so etwas nicht mehr hinnehmen. Wenn in der nächsten Befragung der Regierung wieder kein Minister erscheine, werde er diese sofort abbrechen. Lammert beklagte außerdem, daß an der Befragung zeitweise nur zwei der mehr als 300 Unionsabgeordneten teilgenommen hätten.

Für die Bundesregierung ist die Angelegenheit ziemlich peinlich. Denn derzeit wird in Berlin darüber diskutiert, ob man die Debattenkultur im Parlament verändern solle. Schwänzende Minister und gähnend leere Abgeordneten-Reihen seien nicht förderlich, um Politikverdrossenheit und Wahlmüdigkeit entgegenzuwirken. Zudem ist das öffentliche Interesse an den Vorgängen im Reichstag ohnehin zurückgegangen. Früher übertrugen ARD oder ZDF die Debatten oftmals live, heute findet die TV-Ausstrahlung in aller Regel beim Spartensender Phönix statt. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann möchte das Parlament nun lebendiger machen. „Die Fragenkultur im Bundestag muß besser und lebendiger werden“, sagte er dem Tagesspiegel, „deshalb wäre es gut, wenn die Bundeskanzlerin und die Minister in der Fragestunde des Bundestages direkt befragt werden können.“

Als Vorbild nannte der SPD-Fraktionschef die Debatten im englischen Unterhaus: „Da geht es sehr konkret zur Sache. Ein offener Schlagabtausch zwischen Opposition und Regierung ist attraktiver als das Verlesen vorbereiteter Erklärungen.“ In der Tat geht es im Londoner Parlament heiß her. Leere Ränge sind im Königreich ein Unding, gute Umgangsformen allerdings auch. Vor allem deshalb erfreuen sich TV-Berichterstattungen aus dem Unterhaus in der Bevölkerung großer Beliebtheit.

Oppermann forderte übrigens auch eine Anwesenheitspflicht für die Regierung und ein Zeitlimit für deren Antworten: „Denn kurze Antworten sind die besseren Antworten.“ Bisher hatten vor allem die oppositionellen Grünen diese Idee propagiert, waren jedoch vor allem bei der CDU auf taube Ohren gestoßen. Diese lehnt eine häufige direkte Befragung der Kanzlerin bislang als „indiskutabel“ ab. Doch Koalitionspartner Oppermann gefällt sich in der Rolle des britischen Gentlemans. „Die Kanzlerin“, so sagte er, „bekommt das sicher toll hin.“

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