© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/14 / 03. Oktober 2014

Duell der Damen
Präsidentschaftswahl in Brasilien: Dilma und Marina – aus demselben Stall in unterschiedliche Richtungen
Michael Ludwig

Der Zuschauer könnte glauben, die Szenen spielen in einer Telenovela – Männer in dunklen Anzügen treffen sich zu einem Meeting, während eine Stimme aus dem Off erklärt, daß ein Stopp der Bankenkontrolle Konsequenzen nach sich ziehen würde. Dann erscheint eine vierköpfige Familie beim Abendessen im Bild, deren gefüllte Teller plötzlich vom Tisch verschwinden.

Die Wahlkampfstrategen der regierenden brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff haben wieder einmal ganze Arbeit geleistet und den Fernsehzuschauern vor Augen geführt, was ihrer Ansicht nach geschehen würde, wenn die Gegenkandidatin bei den bevorstehenden Wahlen am 5. Oktober, Marina Silva, die Oberhand gewinnen sollte.

Konservativ-liberaler Kandidat ohne Chance

Lange Zeit sah es danach aus, daß Rousseff trotz magerer Regierungsbilanz ihr Amt würde verteidigen können. Ihre Arbeiterpartei (PT) ist vor allem bei den ärmeren Bevölkerungsschichten fest verankert. Hinzu kommt, daß ihr Vorgänger und politischer Ziehvater, Lula da Silva, noch immer einen hervorragenden Ruf genießt. Er war es, der die Erlöse aus den gestiegenen Rohstoffpreisen dazu nutzte, Sozialprogramme für Arme aufzulegen. Heute gehört die neue sogenannte Klasse C, die Mittelschicht, mit zu den tonangebenden politischen Kräften im Land.

Doch Rousseff, die 2010 die Regierungsgeschäfte übernahm, verwaltete das Erbe mehr schlecht als recht. Dies wurde vor allem vor der Fußball-WM deutlich – hunderttausende demonstrierten gegen die Mißstände im öffentlichen Nahverkehr, das mangelhafte Bildungssystem, die nichtfunktionierenden Krankenhäuser und die Korruption. Doch es fand sich niemand, der die um sich greifende Unzufriedenheit bündeln und in eine kraftvolle politische Opposition umschmieden konnte.

Dann geschah etwas, was man schicksalhaft nennen kann – der Vorsitzende der oppositionellen Sozialistischen Partei Brasiliens (PSB), Eduardo Campos, starb unmittelbar zu Beginn des Wahlkampfs bei einem Flugzeugabsturz. Damit rückte seine Stellvertreterin, Marina Silva, die eigentlich mit Campos mitfliegen wollte, aber im letzten Moment absagte, zur Spitzenkandidatin auf.

Silva und Rousseff kennen sich seit langem. Beide engagierten sich für dieselbe Partei, die PT – Silva als Umweltministerin, Rousseff als Energieministerin. Schon damals flogen die Fetzen. Während die Umweltministerin auf alternative Energien setzte, schlug Rousseff vor, den ganzen Amazonas in ein einziges riesiges Wasserkraftwerk zu verwandeln. Auch in der Ölförderung gab es kaum zu überbrückende Differenzen – Silva sprach sich für eine schonende Ausbeutung der Ressourcen aus, Rousseff trieb die Erschließung neuer Ölfelder mit äußerster Konsequenz voran. 2008 gab Silva den Kampf auf. Zwei Jahre später wurde sie Mitglied der brasilianischen Grünen, heute kämpft sie für die PSB.

Es gibt viele Gründe, die dazu geführt haben, daß die Umweltaktivistin bei den Umfragen in den letzten Wochen erstaunlich zulegen konnte. Zum einen gilt sie als eine glaubwürdige Vertreterin der brasilianischen Linken – auch wenn sie sich inzwischen einer weitgehend konservativ-liberalen Wirtschaftspolitik verschrieben hat, die für eine autonome Zentralbank, Inflationsbekämpfung und einen ausgeglichen Staatshaushalt eintritt. In die Korruptionsskandale der Regierung Lula war sie nie verwickelt. Hinzu kommt, daß sie afrikanische und indianische Wurzeln hat, womit sich weite Teile der Bevölkerung identifizieren.

Ihre Biographie weist sie als jemanden aus, der von ganz unten kommt, aber es dennoch nach oben geschafft hat. Marina Silva wuchs mit sieben Geschwistern auf. Sie schlug sich als Hilfsarbeiterin auf einer Kautschuk-Plantage durch und lernte erst mit 16 Jahren lesen und schreiben. In einer emotionalen Rede erinnerte sie daran, daß sie zum Leben nicht mehr hatte als „ein Ei, ein wenig Weizen, Salz und einige Zwiebelringe“ pro Tag.

Es gilt inzwischen als sicher, daß keine Kandidatin auf Anhieb die absolute Mehrheit erreichen wird. Letzten Umfragen zufolge kann Rousseff mit 37 Prozent der Stimmen rechnen, Silva mit 30. Keine Chancen werden dem dritten Kandidaten, Aecio Neves, von der Partei der Sozialen Demokratie (PSDP) eingeräumt, die eine Gemengelage aus konservativen, liberalen und sozialdemokratischen Positionen vertritt.

Foto: Dilma Rousseff (l.) und Marina Silva: Kampf um die Glaubwürdigkeit

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