© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/14 / 03. Oktober 2014

Angst vor dem langen Arm Moskaus
Parlamentswahl in Lettland: Im Schatten der Ukrainekrise muß vor allem die „Russenpartei“ Saskana mit Verlusten rechnen
Thomas Fasbender

Eines scheint gewiß: Es wird kein Routineereignis, wenn das lettische Volk sich am kommenden Samstag, den 4. Oktober, an die Wahlurnen begibt. Zu sehr hat die Ukrainekrise in den baltischen Staaten für Wellenschlag gesorgt.

Gänzlich ungewiß ist dagegen, wer aus der Wahl als Sieger hervorgeht. Weniger als eine Woche vor dem Ereignis bewegt sich der Anteil der Unentschlossenen noch um die 30 Prozent.

Daß die letzten Parlamentswahlen 2011 gerade einmal drei Jahre zurückliegen, verdankt sich einer Sonderregelung der lettischen Verfassung. Die Wahlen von 2011 waren vorgezogen – erst 2010 war regulär gewählt worden – und auf vorgezogene Wahlen folgen die nächsten regulären binnen dreier Jahre. Dennoch hat die Zeit ausgereicht, die Parteienlandschaft gründlich zu verändern.

Das bürgerliche Lager (so würde man es in Deutschland nennen) aus den erst 2011 gegründeten Gruppierungen Reformpartei und Einigkeit kommt in der gegenwärtigen 11. Saeima, dem lettischen Parlament, auf 42 der 100 Sitze und stellt in einer Koalition mit der rechtskonservativen Nationalen Allianz die Regierungschefin Laimdota Straujuma (Einigkeit). Bei den jüngsten Europawahlen konnte Straujumas Partei über 46 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen und erhielt vier der acht lettischen Mandate.

Die Delle der Finanzkrise ist längst noch nicht ausgebeult

Größte Oppositionspartei, 2010 aus dem Zusammenschluß dreier Mitte-Links-Parteien hervorgegangen, ist die sozialdemokratische Partei Saskana (Harmonie). An ihrer Spitze steht Janis Urbanovics, der noch in der UdSSR Sekretär des Zentralkomitees der kommunistischen Jugendorganisation Komsomol war und später der russischsprachigen Minderheit nahestand. Urbanovics war Abgeordneter jeder Saeima seit Wiedererrichtung des souveränen Lettlands.

Saskana gilt als gemäßigt pro-russische Partei und setzt im Wahlkampf auf eine Politik der Aussöhnung zwischen den lettischen und den russischsprachigen Bewohnern des Landes (73 bzw. 27 Prozent). Im Kern geht es um die Anerkennung des Russischen als regionale Schul- und Amtssprache sowie um die Einbürgerung der immer noch fast 14 Prozent Staatenlosen, überwiegend ältere russischsprachige Bürger, die seit Jahrzehnten im Land leben.

Lettland ist wirtschaftlich angeschlagen; die 2008 ausgebrochene europäische Finanzkrise hat das kleine Land arg gebeutelt. 2009 stellte Lettland beim Wachstum (minus 18 Prozent) und bei der Arbeitslosigkeit (23 Prozent) das Schlußlicht der EU. Drei Jahre später war es genau umgekehrt, und Lettland war mit 5,6 Prozent EU-Wachstumsführer. Dennoch ist die Krisendelle noch nicht ausgebeult. Das durchschnittliche Nettoeinkommen beträgt auch 2014 nur 520 Euro. Betrüblich ist auch die Bevölkerungsentwicklung. In den Krisenjahren verlor das Land rund zehn Prozent seiner Bewohner – vor allem an Westeuropa und Rußland. Die Zahl der Einwohner ist unter die Zwei-Millionen-Grenze gerutscht.

Die Liberal-Konservativen, die Lettland seit Jahren – in Gestalt wechselnder und immer wieder fusionierender Parteien – regieren, haben an Glaubwürdigkeit und Autorität eingebüßt. Bislang profitierte davon vor allem Saskana, die von gut vierzehn Prozent bei den Saeima-Wahlen 2006 auf fast 30 Prozent 2011 zulegen konnte. Auch die ethnischen Zwistigkeiten schienen an Schärfe zu verlieren. Noch vor einem Jahr galt Janis Urbanovics vielen gar als künftiger Ministerpräsident.

Mit der Ukrainekrise kam dann unerwartet Gegenwind auf. Wie in Polen erwachte auch im Baltikum die Angst vor einem expansiven Rußland. Saskana fiel bei den Europawahlen im Mai auf gerade einmal 13 Prozent zurück.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen