© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/14 / 03. Oktober 2014

Parforceritt mit Hindernissen
Islamischer Staat: Im Kampf gegen die Dschihadisten steht ein wahlkämpfender Obama unter Druck / Verhaltene Rufe nach Bodentruppen
arc Zöllner

Spürbar peinlich war es US-Präsident Barack Obama, als er vergangenen Sonntag vor die Kameras treten mußte. Der Nachrichtensender CBS hatte das Staatsoberhaupt zum Interview eingeladen. Die Fragen von Steve Kroft, dem Moderator der in den Vereinigten Staaten beliebten Politshow „60 Minutes“, trafen den Friedensnobelpreisträger von 2009 jedoch unvorbereitet und bis ins Mark.

Ob er denn die Gefahr, die von der Terrorgruppe Islamischer Staat ausgehe, unterschätzt habe, wollte Kroft beispielsweise wissen. „Man habe sie nicht nur in Syrien unterschätzt“, antwortete Obama verlegen. Auch die Eignung und den Willen der irakischen Verbündeten, die Islamisten am Boden zu bekämpfen, hatte man gewaltig überbewertet. Wer genau dieser „man“ sei, konkretisierte Barack Obama bereitwillig: Der seit Januar 2010 amtierende Director of National Intelligence, Generalleutnant James Clapper, Chef der 16 wichtigsten US-Geheimdienste. In seiner Einschätzung zur Lage im Nahen Osten habe dieser versagt; Syrien sei mittlerweile „das Ground Zero für Dschihadisten aus der gesamten Welt“.

Schläge der US-Armee sind gute Wahlkampfmunition

Daß Präsident Obama die Verantwortung des Versagens der Vereinigten Staaten im Nahostkonflikt nicht auf seine eigenen Schultern laden möchte, hat gute Gründe. In knapp fünf Wochen stehen Wahlen ins Haus. Im November entscheiden die Amerikaner nicht nur über die Neubesetzung des kompletten Repräsentantenhauses. Auch 36 der 50 Gouverneure der einzelnen Bundesstaaten werden neu bestimmt. Die Umfragewerte des Präsidenten sowie der ihm zugehörigen Demokratischen Partei befinden sich jedoch auf einem historischen Allzeittief ohne Aussicht auf rasche Genesung.

Insbesondere die viral verbreiteten Bilder der Hinrichtungen der zwei US-amerikanischen Journalisten James Foley und Steven Sotloff verschrecken derzeit viele demokratische Stammwähler vor der Stimmabgabe. „Die Enthauptungen wirkten verstörend auf die amerikanische Öffentlichkeit“, erklärt Peter Hart, der Vorsitzende des Meinungsforschungsinstituts Hart Research, die sinkende Popularität des US-Präsidenten. „Ich glaube, die einzige Sache mit gleicher Wirkung waren die Selbstverbrennungen damals in Vietnam.“

Noch nie seit dem 11. September 2001 fühlten sich die US-Amerikaner bedrohter als im September dieses Jahres, bestätigte eine Umfrage seiner Organisation. Über 47 Prozent der Befragten gaben an, sich im Land weniger sicher als während der Anschläge auf das World Trade Center zu fühlen. Noch im Jahr 2013 waren bei dieser Frage lediglich 28 Prozent derselben Meinung.

Im gleichen Maß, wie die Angst unter den Amerikanern wächst, steigt auch deren Zustimmung zu einem bewaffneten Parforceritt gegen den Islamischen Staat (IS) an. Nur noch 13 Prozent der Bürger lehnen eine militärische Intervention in Syrien und im Irak kategorisch ab, während sich 61 Prozent aller Befragten dafür aussprechen. Ein gutes Drittel, nämlich 34 Prozent, plädiert sogar für die erneute Entsendung von Bodentruppen.

Angesichts solcher Zahlen, die auch Barack Obama bekannt sind, drängt sich der Verdacht geradezu förmlich auf, daß die US-Armee lediglich für ihren Präsidenten in den Wahlkampf zieht.

Doch Obamas Strategiewechsel wird im Nachhinein teuer zu Buche schlagen. „Zwischen sieben und zehn Millionen Dollar pro Tag“ könne der Einsatz gegen den Islamischen Staat täglich kosten, rechnete US-Verteidigungsminister Chuck Hagel kürzlich vor. Allein von den 47 bereits am ersten Tag auf syrische Ölraffinerien und Stützpunkte, die sich in der Hand der Islamisten befinden, abgefeuerten Tomahawk-Raketen koste jede einzelne anderthalb Millionen Dollar. Der Krieg gegen den Islamischen Staat, bestätigt auch Gordon Adams vom konservativen „Stimpson Center für globale Sicherheit“, könnte somit jährlich bis zu 20 Milliarden Dollar verschlingen.

Im Kampf um Stimmen und Kosten ist Barack Obama somit genötigt, verstärkt auf seine Verbündeten im arabischen Ausland zu setzen. Zumindest dort dürften die neueren Luftangriffe der Vereinigten Staaten der Popularität des US-Präsidenten guttun. Denn nirgends sonst, ergab eine im Juli veröffentlichte Umfrage des Pew Research Center, ist die Angst vor einem Erstarken des islamistischen Extremismus verbreiteter als im Nahen Osten selbst: Zwei Drittel aller Palästinenser und Pakistanis gaben an, in diesem eine Bedrohung für ihr Land zu sehen, in Ägypten sogar 75, in Tunesien 80, im Libanon ganze 92 Prozent der Befragten. Lediglich die Bürger der Türkei sind in dieser Frage mit 50 Prozent Ja- zu 37 Prozent Neinstimmen ebenso zwiegespalten wie ihre Regierung. Ob Ankara den Waffengang zusammen mit den USA gegen den IS wagen möchte und wenn ja, wie halbherzig, blieb auch zu Beginn der Woche noch völlig offen.

Ankara winkt mit möglicher Kursänderung

Hoffnung weckt allerdings die Ankündigung des türkischen Präsidenten Recep Erdoğan vom vergangenen Samstag, nach der erfolgreichen Befreiung von 49 vom Islamischen Staat verschleppten türkischen Geiseln sich gegenüber dem IS neu zu positionieren. „IS kann nicht nur mit Luftoperationen beendet werden“, kündigte Erdoğan im Interview mit dem türkischen Staatsfernsehen TRT an. „Ohne Bodenoperation wird es nicht nachhaltig sein.“ Erste Ziele seiner neuen Agenda seien demzufolge nicht nur die Einrichtung einer Flugverbotszone über Syrien, so Erdoğan, sondern ebenfalls der Aufbau eines entmilitarisierten Pufferareals auf syrischem Boden.

Auch die Vereinigten Arabischen Emirate kündigten eine Ausweitung ihrer Offensive gegen den Islamischen Staat an. „Der IS ist eine barbarische, brutale Organisation“, schrieb Vizepräsident Mohammed Al Maktoum vergangene Woche in der Emiratszeitung The National. „Er repräsentiert weder den Islam noch die grundsätzlichen menschlichen Werte.“

Doch militärische Maßnahmen, so der Scheich, dessen Land sich neben Saudi-Arabien, Jordanien, Bahrain und Katar aktiv an Luftangriffen gegen den IS beteiligt, seien nur Teil einer Lösung. „Dauerhafter Friede bedarf drei wichtigerer Zutaten“, erklärte Al Maktum. „Die intellektuelle Schlacht zu gewinnen, schwache Regierungen zu stärken und soziale Entwicklungen von der Basis an zu fördern.“ Zugleich warnte er davor, die Ideologie des Islamismus werde „zur größten Gefahr, welcher sich die Welt im nächsten Jahrzehnt ausgesetzt sieht“.

Foto: US-Präsident Barack Obama am Tisch mit den Vertretern von fünf arabischen Staaten: Einig im Krieg gegen den IS, doch was kommt dann?

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