© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/14 / 03. Oktober 2014

Der Autobahn-Sarrazin
Verkehr: Mit „Deutschland im Stau“ legt Günter Ederer eine Generalabrechnung mit der deutschen Politik vor
Ronald Gläser

Vor einer Woche hat das Bundeskabinett ein bis 2030 befristetes Elektromobilitätsgesetz auf den Weg gebracht. Darin vorgesehen sind noch mehr kostenfreie Parkplätze, Ladesäulen und weitere Privilegien für batteriebetriebene Autos (Meldung Seite 11). Zukunftsweisendes Projekt oder ein neuer Anlauf für eine in die Irre laufende Planwirtschaft? Tatsache ist, daß Union und SPD schon 2005 vereinbart hatten, das Ziel „weg vom Öl konsequent vorantreiben“ zu wollen.

2011 gab Kanzlerin Angela Merkel die Parole aus, daß 2020 eine Million E-Autos rollen sollen. Davon sind wir derzeit weit entfernt (2014: 12.156 Fahrzeuge). Der Staat plant aus ideologischen Gründen an den Bedürfnissen der Deutschen vorbei und schafft immer neue Privilegien für Ladenhüter – ohne Erfolg. Es gibt immer mehr normale Autos, aber nicht mehr E-Autos. Warum ignoriert der Staat die Wünsche seiner Bürger?

Der Wirtschaftsjournalist Günter Ederer faßt die autofahrerfeindliche Haltung in Deutschland so zusammen: „Irgend etwas stimmt bei uns nicht.“ Straßenbenutzer sollen vergrault werden, mutmaßt er, und führt dabei folgende Zahlen an: Die Deutschen zahlen an verkehrsbezogenen Steuern jedes Jahr rund 60 Milliarden Euro, aber nur ein Viertel davon fließt zurück in das Straßensystem. Fazit: „Es wird zuwenig in den Straßenbau investiert, um seinen wirtschaftlichen Nutzen zu sichern.

Andere Regierungen sind dem Individualverkehr gegenüber weniger feindselig. Die Chinesen etwa arbeiten mit Hochdruck am Ausbau ihres Autobahnnetzes, das bereits 96.000 Kilometer beträgt (2012). Zum Vergleich: In Deutschland sind es knapp 13.000.

Ederer zitiert einen Minister, der sich dafür entschuldigt, daß erst 50 Prozent des Verkehrs über die Straße abgewickelt würden. „Das werden wir aber auf 85 Prozent erhöhen“, so der Chinese weiter. Deutsche Politiker würden „nach Luft schnappend in Ohnmacht fallen“, wenn bei uns jemand so etwas ausspricht. Ederer räumt in seiner 352seitigen Streitschrift mit zeitgenössischen („Wir haben die besten Autobahnen der Welt“) und historischen Mythen auf. So etwa mit der Annahme, Adolf Hitler habe die Autobahn erfunden, um den Krieg vorzubereiten. In Wahrheit war die NSDAP gemeinsam mit der KPD vor 1933 Gegner der damals bereits geplanten Autobahnen. Damals hätten sich das „dumpfbackene Bürgertum und die Ideologie der Unfreiheit“ zusammengefunden, um Luxus für Reiche und Profit für private Straßenbetreiber zu bekämpfen.

Der Staat hat als Unternehmer versagt

Fortan sei die Straßennutzung in Deutschland kostenfrei und gleichzeitig vollständig in Staatshand gewesen. Dadurch habe sich der „unsägliche Begriff der Daseinsvorsorge tief in unser Anspruchsdenken eingegraben“, so Ederer. Er ist ein Befürworter von Park- und Mautgebühren, allerdings schwebt ihm eher eine Privatisierung vor als eine neue Abgabe an einen staatlichen Monopolisten.

Günter Ederer hat den Verantwortlichen der Probleme nicht nur im Straßenbau ausgemacht: den Staat. Egal ob Stau, bröselnde Brücken,verspätete Bahnen, kaputte Klimaanlagen, unfertige Autobahnen, vom Lärm entvölkerte Täler – „in Deutschland ist immer der Staat der verantwortliche Unternehmer, und deshalb lassen sich die chaotischen Verhältnisse in der Verkehrspolitik auch auf einen kurzen Nenner bringen: Sie dokumentieren das große Staatsversagen.“

Es geht in seinem Buch nicht nur um Straßen und Autobahnen. Auch bei der Bahn geht vieles schief. Ederer verweist auf Bahnprojekte, deren Verwirklichung oft eine ganze Generation andauert Das gleiche gilt für Beamte, die beim Eintritt in den Staatsdienst mit der Planung für Straßen oder ICE-Trassen angefangen haben und die Fertigstellung bei ihrer Pensionierung erleben.

Nicht zu vergessen auch die diversen Umweltschutzvorschriften, die eine sinnvolle Verkehrsplanung oft behindern, während die behördliche Geheimniskrämerei („hat mit unserer staatsgläubigen Geschichte zu tun“) verhindert, daß die Deutschen die Wahrheit über Fehlentscheidungen erfahren.

Das Desaster um den Flughafen BER ist das beste Beispiel. Ederer nennt es den größten „verkehrspolitischen Skandal, „den Deutschland je erlebt hat“, eine Mischung aus „Ignoranz und Provinzialismus“. Doch der neue Hauptstadtflughafen ist kein Betriebsunfall, wie viele andere Airports in der deutschen Provinz zeigen. Ederer über den 271 Millionen Euro schweren Flughafen in Calden: „Der erste Preis für eine besonders gelungene Satire, die zur Realität geworden ist, geht an die hessische Landesregierung.“ Das Buch zeigt, daß solche Mammutprojekte in Deutschland der Normalfall sind. Leider.

Ederer und sein Koautor Gottfried Ilgmann haben ein ebenso umfassende wie überzeugendes Buch zu den Problemen der deutschen Verkehrspolitik vorgelegt. Es ist so detailliert wie „Deutschland schafft sich ab“, nur daß Ederer keine Tabellen präsentiert, sondern Landkarten mit unvollendeten Autobahnstrecken und zahlreiche Tortengrafiken, leider nur schwarzweiß. Seine klare Sprache läßt dafür nichts zu wünschen übrig.

 

Stolperte Saskia Ludwig über BER?

Alle Parteien sind durch ihre diversen Regierungsbeteiligungen in Bund und Land in den BER-Skandal verwickelt, vor allem Union und SPD. Daher ist auch niemand wirklich an einer Aufklärung interessiert. Eine der ganz wenigen aus der Politik, die frühzeitig einen gangbaren Ausweg aus dem Dilemma aufgezeigt hat, war Saskia Ludwig. Die damalige CDU-Landeschefin in Brandenburg wollte einen Anti-BER-Wahlkampf. Ihr Konzept: BER begraben, Schönefeld ausbauen, Berlin-Tegel offenhalten, später den Großflughafen in Sperenberg bauen. Doch dann fiel sie 2012 einer innerparteilichen Intrige zum Opfer, nachdem sie einen Artikel in der JUNGEN FREIHEIT zum Geburtstag von Jörg Schönbohm veröffentlicht hatte. Günter Ederer stellt nun die These auf, in Wirklichkeit hätten ihre „Gegner mit Unterstützung der Hofpresse“ sie wegen ihrer Haltung in der Flughafenfrage davongejagt. Ludwig kommentierte Ederers Kapitel über den BER auf JF-Nachfrage mit den Worten: „Was Herr Ederer zitiert, entspricht den Tatsachen.“

Günter Ederer, Gottfried Ilgmann: Deutschland im Stau. Was uns das Verkehrschaos wirklich kostet, Berlin-Verlag, Berlin 2014, 352 Seiten, gebunden, 19,99 Euro

Foto: Berufsverkehr in Berlin: Autobahnen machen 5,5 Prozent unseres Straßennetzes aus, bewältigen aber 33 Prozent der Verkehrsleistung

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