© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/14 / 03. Oktober 2014

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Die deutschen Befürworter einer schottischen Unabhängigkeit fanden sich fast ausschließlich auf konservativer Seite. Das ist insofern typisch, als die Sympathie eine ganz prinzipielle und reine war, ein Ausfluß der Herderschen Volkstumsidee oder übermäßiger Begeisterung für Braveheart, Quentin Durward und Rob Roy. Politische Erwägungen wie die, daß der Regionalismus, wo er stark ist, praktisch immer von links kommt, störte die Befürwortung sowenig wie die Tatsache, daß die Verzwergung der europäischen Staaten keinen erkennbaren Nutzen mit sich bringt.

Die Ankündigung deutscher Waffenlieferungen an die kurdischen Peschmerga berührt nach der jahrelangen Kampagne gegen die PKK etwas seltsam. Vielleicht muß man aber nur alte Weisheiten aus dem Archiv holen: „One man’s freedom fighter is another man’s terrorist.“

Es ist mit dem Ruf eine merkwürdige Sache. Der schlechte gilt gemeinhin als zäher, der gute als rasch verlierbar. Daran ist sicher viel Wahres. Allerdings gibt es auch ein Trägheitsmoment – stärker bei Institutionen als bei Personen –, das dazu führt, daß die Bewunderung wegen früherer Verdienste oder die Ablehnung wegen früherer Missetaten sich selbst dann noch hält, wenn die Lage längst verändert ist.

In einem Bericht über seine Rußlandreise beschrieb der Fürst von Ligne 1788 auch seine Eindrücke von der Provinz Moldau. In einer Passage heißt es über die Damen des alten bojarischen Adels, sie hätten „ständig einen Rosenkranz aus Diamanten, Perlen, Korallen, Lapislazuli oder seltenem Holz in der Hand, der ihnen Haltung verlieh wie unseren Damen der Fächer. Damit spielen sie unablässig und halten so ihre Finger mit den karmesinroten Nägeln gelenkig.“ Die Stelle spricht dafür, daß der Nagellack nicht nur als Abfallprodukt der amerikanischen Autoindustrie zu betrachten ist.

Man darf das schottische „Nein“ zur Unabhängigkeit sicher nicht auf die Stärke eines gesamtbritischen Nationalbewußtseins zurückführen. In erster Linie spielten wohlbegründete Sorgen und praktische Erwägungen eine Rolle. Letztere in den Vordergrund zu rücken ist allerdings ein sehr britischer Zug.

Es gibt Phantombegriffe, die bei ihrer Entstehung noch allgemeines Kopfschütteln auslösen, wegen Unsinnigkeit oder des eindeutig manipulativen Gehalts. Aber damit ist nichts gegen die Durchsetzbarkeit gesagt. Der vor dreißig Jahren in sektiererischen Gruppen der Frauenbewegung aufgekommene „Sexismus“ gehört dazu und auch das zeitgleich identifizierte „geschlossen rechtsextreme Weltbild“. Die Zähigkeit der Einflußnehmer, die derlei lancieren, hat dazu geführt, daß sich heute Gesetzesinitiativen auf die Notwendigkeit berufen, „sexistische“ Vorurteile zu bekämpfen, und das „geschlossen rechtsextreme Weltbild“ dient natürlich dazu, die Anhängerschaft der neuen Volkspartei AfD zu denunzieren.

Die Aufforderung des „Islamischen Staates“, gezielt Amerikaner und Europäer zu töten, zeigt, wie rasch sich in Konfliktlagen die Feindbestimmungen überlagern. Nur in der Theorie sind allgemein-politische, ideologische, religiöse, kulturelle und rassische säuberlich zu trennen.

Bildungsbericht in loser Folge LXIV: Im Hinblick auf das parent bashing, also das kindliche Prügeln der Eltern, könnte man von einer logischen, interessanten und irgendwie auch gerechten Folge der Überbehütung und Überversorgung des Nachwuchses sprechen, wenn nicht der Verdacht so nahe läge, daß hier schon wieder eine neue Gruppe von Opfern und Empfängern irgendwelcher Betreuungs- und Therapiemaßnahmen kreiert werden soll.

Der Empfehlung des Ethikrats, das Inzestverbot aufzuheben oder doch wenigstens für Geschwister zu lockern, entspricht einer allgemeinen Tendenz im Sexualstrafrecht, die man in den westlichen Ländern seit Jahren beobachten kann. Hier handelt es sich darüber hinaus um die Zerstörung eines Tabus, das tatsächlich zu den Universalien gehört, gleichermaßen in der ersten wie der zweiten Natur des Menschen, also in Biologie und in den erprobten kulturellen Regeln, verankert wurde. Das geschieht im Namen der Humanität, als wenn der Begriff ohne Bezug auf Natürlichkeit oder Widernatürlichkeit zu denken wäre.

Bei aller Wandelbarkeit des Begriffs der Ehre, ist doch erstaunlich, wie viele heute ganz ohne auskommen.

Die kühle Miene, mit der die Europäer den Untergang des orientalischen Christentums beobachten, macht deutlich, daß die Dauerrede über Xeno- und Islamophobie ganz an der Sache vorbeigeht; das eigentliche Thema müßte Selbst- und Christenhaß sein.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 17. Oktober in der JF-Ausgabe 43/14.

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