© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/14 / 03. Oktober 2014

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Tendenzen zum digital gestützten Umbau des US-Gesundheitssystems / Mittelabzug zu Lasten sozialer Gerechtigkeit
Christoph Keller

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001, denen einige dilettantische Versuche gefolgt waren, Anthrax-Sporen in Umlauf zu bringen, steht die „Biosicherheit“ ganz oben auf der Agenda der US-Sicherheitspolitik. 2004 bewilligte der Kongreß daher 5,6 Milliarden Dollar für ein Programm zur Prävention von Bioterrorismus. Geld, mit dem die 15.000 Mitarbeiter beschäftigende zentrale Gesundheitsbehörde, die Centers for Disease Control and Prevention (CDC), mit „militärischer Effizienz“ rekonstruiert wurde, wie die Humangeographen Henning Füller (Erlangen) und Jonathan Everts (Bonn) mit leichtem Gruseln berichten (Geographische Rundschau, 9/2014).

Militärisch orientierte „Versicherheitlichung“

Als Konsequenz aus den sich vertiefenden sozialen Gräben der plutokratischen US-Gesellschaft stehe die Gesundheitspolitik, neben anderen zivilen Politikfeldern, überhaupt kontinuierlich im Zeichen der militärisch orientierten „Versicherheitlichung“. Daher überall das „massive Interesse an Früherkennung und Überwachung“, das man in Europa 2013 anläßlich des NSA-Skandals erstmals kennenlernte. Allein in die Biosicherheit flossen seit 2001 etwa elf Milliarden Dollar. Den Löwenanteil davon verschlangen Entwicklung und Einrichtung neuartiger Verfahren zur Früherkennung unbekannter gesundheitlicher Bedrohungen.

Wie die NSA stets auf höchstem Niveau technischer Innovationen operiert, so ist ein sämtliche elektronische Datennetze ausbeutendes gesundheitspolitisches Überwachungssystem entstanden. Es ermöglicht die automatische Sammlung und Auswertung gesundheitsbezogener Daten. Erfaßt werden Besuche in Notaufnahmen genauso wie Verkaufszahlen örtlicher Apotheken oder Fehlzeiten in Grundschulen. Ein Algorithmus überprüft permanent einlaufende Daten auf unübliche räumliche oder zeitliche Ballungen von „Vorfällen“, so daß etwa Epidemiologen sich ständig ein Bild von der Bedrohungslage an der Infektionsfront machen können.

Tatsächlich liefere das teure System jedoch nur Daten von geringer medizinischer Aussagekraft und verdecke die gesellschaftliche Dimension gesundheitlicher Probleme, weil es ihre strukturellen Bedingungen nicht berücksichtige. Gesundheitspolitik als digital gestützte Politik der Biosicherheit fördere daher nur die Umverteilung wertvoller Ressourcen zu Lasten einer sozial gerechten Gesundheitsversorgung.

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