© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/14 / 10. Oktober 2014

Böse Zukunft mit hundert Nullen
Christoph Keese weilte im Silicon Valley und warnt vor der schönen neuen Welt, in der Facebook, Amazon und Google alles kontrollieren
Markus Brandstetter

Der Journalist und Wirtschafswissenschaftler Christoph Keese hat 2013 seine Frau und seine Kinder ins Flugzeug gesetzt und ist mit ihnen nach Kalifornien ins Silicon Valley geflogen, um dort den digitalen Wandel der Wirtschaft und seine Folgen zu untersuchen, ähnlich wie zuvor Bild-Chef Kai Diekmann. Keese ist Executive Vice President bei Axel Springer und liegt schon deshalb rein beruflich mit der kalifornischen Google Inc., dem Betreiber der weltweit erfolgreichsten Suchmaschine, in einer Art Privatkrieg.

Springer unterstellt Google nämlich seit Jahren, die Ergebnisse seiner Suchmaschine zu manipulieren, kostenlos journalistische Inhalte aus dem Internet abzusaugen, für die Google eigentlich bezahlen müßte, und Google-Produkte stets vor denen seiner Wettbewerber zu präsentieren. Der Hintergrund dafür ist klar: Springer als Zeitungsverlag verliert immer mehr Print-Werbung an Google, den Marktführer für Online-Werbung. Keeses Objektivität ist also von vornherein eingeschränkt, was er aber im Vorwort auch sofort einräumt.

Keese hat sich die Aufgabe gestellt, herauszufinden, was aus dem „mächtigsten Tal der Welt auf uns zukommt“. Er kommt zu dem Schluß, daß wir uns bald in einer reinen Google-Welt befinden werden, die so aussehen wird: „Selbstfahrende Autos von Google bringen uns vor die Tür der Geschäfte, die am meisten für unseren Besuch bezahlt haben und wo wir nach Auskunft der Datensätze, die wir Google geliefert haben, am meisten ausgeben werden. Über unserem Google-Handy kreist eine Google-Drohne, die uns Musik und Filme verfügbar macht, die uns Google entweder kostenlos gegen die Interessen der Urheber zur Verfügung stellt oder für die Google in seinem eigenen Online-Store Provisionen verdient.“

So wie dieses Beispiel liest sich das ganze Buch. Keese hat in Kalifornien vor allem eines gelernt: Die Zukunft wird furchtbar werden, und schuld daran sind erstens die US-Amerikaner und zweitens die Elektronik-Unternehmen im Silicon Valley. Die Internet-Giganten Google, Amazon und Facebook saugen laut Keese sämtliche Daten so gut wie aller Menschen auf und verarbeiten diese dann mit komplizierten mathematischen Algorithmen heimlich, still und leise im Hintergrund. Die Herrschaft über diese gibt diesen Großunternehmen eine unvorstellbare und nie dagewesene Macht über uns alle. Diese Macht besteht aus drei Komponenten: erstens der Verfügung über alle relevanten Daten, die einen Menschen charakterisieren; zweitens der daraus resultierenden Vorhersagbarkeit des Verhaltens dieser Menschen; und schließlich der Manipulation dieses Verhaltens. Keese geht davon aus, daß Facebook, Google und Amazon zusammen so etwas wie eine weltumspannende elektronische Stasi darstellen, die die Mehrheit der Menschen zukünftig versklaven wird, mit der einzigen Absicht, die Profite zu maximieren.

Auch auf den ersten Blick vollkommen harmlose Aktivitäten wie das Auffüllen des Kühlschranks werden laut Keese bald schwersten Manipulationen unterliegen: „Kühlschränke, Milchflaschen, Kaffeemaschinen und Zahnbürsten werden zu Agenten im Netz der Dinge. An der elektrischen Zahnbürste wird künftig ein Knopf sein, der blau leuchtet, wenn die Zahnpasta leer oder die Bürste verbraucht ist. Drückt man ihn, bringt Amazon eine Stunde später Nachschub.“

Der Autor bringt eine ganze Menge ähnlicher Beispiele, aber irgendwie entgeht ihm nicht nur die Ironie beim Vergleich der ersetzten Zahnpasta-Tube mit der Stasi, er vergißt auch, daß alle diese futuristischen Angebote – sofern sie denn jemals Wirklichkeit werden sollten – freiwillig wären und im Rahmen von Verträgen abliefen. Niemand muß einen Zahnpasta- oder Kühlschrank-Auffüllvertrag mit Amazon abschließen, hat er es doch getan, dann kann er ihn auch wieder kündigen. Google und Co. mögen sich in Einzelfällen über nationales Recht hinwegsetzen, aber das heißt noch lange nicht, daß sie deshalb zu räuberischen, manipulativen Organen würden, die man allenfalls mit den Unterdrückungsorganen totalitärer Staaten vergleichen könnte.

Keese läßt bei all seiner Kritik völlig außer acht, daß die Nutzer von Facebook und Google, die inzwischen mehr als eine Milliarde Menschen zählen, dies freiwillig tun und wollen und in der Lage sein sollten, die Folgen ihres Handelns abzuschätzen. Im Umkehrschluß hieße das nämlich adornohaft arrogant, der Autor nimmt an, daß im Endeffekt jeder Google- und Facebook-Nutzer ein Idiot ist, der nicht kapiert, welches Spiel mit ihm da getrieben wird.

Im letzten Kapitel stellt Christoph Keese die Frage, was jeder tun kann, um dieser Bedrohung aus dem Silicon Valley zu entgehen. Ganz oben auf seiner Liste steht das Lernen der Programmiersprache C++: „Ohne Grundverständnis von C++“, schreibt Keese, „wird es ab 2030 keine Karriere in Wirtschaft und Technik mehr geben.“ Keese fordert weiter die stärkere Verzahnung deutscher Universitäten mit der Wirtschaft, mehr Mut zu disruptiven Innovationen, womit er Neuerungen meint, die ganz bewußt ihre Vorgängertechnik ablösen oder sogar zerstören, und bessere politische Voraussetzungen für eine Kultur von Unternehmensgründungen.

Bei diesen Forderungen wird Keese kaum jemand widersprechen wollen, auch wenn die Annahme, daß das alleinige Erlernen einer modernen Programmiersprache einen Menschen davor bewahren könnte, auf trügerische Angebote im Internet hereinzufallen, doch etwas naiv erscheint.

So ist der Gesamteindruck dieses Buches unterm Strich enttäuschend, was schade ist, denn Christoph Keese schreibt gut und verständlich, versteht seinen Gegenstand hervorragend und hätte wirklich etwas zu sagen, wenn er seinen Hang zur modischen Anpassung an Allerwelts-Theoreme unterdrücken könnte und statt dessen der Wirklichkeit ins Gesicht blicken würde.

Christoph Keese: Silicon Valley: Was aus dem mächtigsten Tal der Welt auf uns zukommt. Albrecht Knaus Verlag, München 2014, gebunden, 320 Seiten 19,99 Euro

Foto: Halti-Safari in Lappland: Uusi lomi on vanhan surma (Der neue Schnee ist der Tod des alten)

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