© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/14 / 10. Oktober 2014

Frisch gepresst

Psychopolitik. Die Zukunftsgesellschaft, für die in Nordamerika und Europa die Weichen gestellt sind, hat entgegen den Warnungen vieler Kulturpessimisten und Modernekritiker keine Ähnlichkeit mit dem von George Orwell in „1984“ prognostizierten Überwachungsstaat samt Wahrheitsministerium und Gedankenpolizei. „Big Brother“ wird in der heraufkommenden neuartigen neoliberalen Kontrollgesellschaft nach Ansicht des koreanisch-deutschen Philosophen Byung-Chul Han vielmehr ein überaus freundliches Gesicht haben. Smartphone ersetzt Folterkammer. Kommunikation und Konsum werden nicht unterdrückt, sondern maximiert. „Das neoliberale Regime verwandelt die Fremdausbeutung in die Selbstausbeutung“, bringt es Han lakonisch auf den Punkt. Anstelle erpreßter Geständnisse tritt freiwillige Entblößung. Dank Facebook, der „globalen Synagoge des Digitalen“, und Google okkupieren Big Brothers Direktiven auf sanfte Weise die Köpfe. Im Zeichen von Big Data ermöglicht das Internet dem mit dem „Gefällt mir“-Knopf regierenden Neoliberalismus die subtilsten, auf Entinnerlichung und Gleichschaltung zielenden psychosozialen Machttechniken. Dem an der Berliner Universität der Künste lehrenden Denker ist damit ein provokanter, mitunter zwar etwas klischeehafter und fatalistisch timbrierter Essay gelungen, der jedoch eine bedrückend realistische Antwort auf die hilflose Frage „Wo ist nur die Zukunft hin?“ erteilt, mit der sich Joachim Gauck jüngst auf dem 50. Deutschen Historikertag blamiert hat. (wm)

Byung-Chul Han: Psychopolitik. Neoliberalismus und die neuen Machttechniken, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2014, gebunden, 124 Seiten, 19,99 Euro

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