© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/14 / 10. Oktober 2014

Die Krise / Zeitung für das Altpapier
Das Ende ist nah / Dem deutschen Blätterwald geht es schlecht. Von Vielfalt kann keine Rede mehr sein
Ronald Berthold

Die Hiobsbotschaften wollen kein Ende nehmen. Die traditionsreiche Frankfurter Rundschau (FR) ist insolvent, die Münchner Abendzeitung (AZ) ebenso. Beide können nur weiter erscheinen, weil Mitbewerber sie am Leben erhalten, sich dabei allerdings von Mitarbeitern trennten. Die FR gehört jetzt teilweise zur ungeliebten und politisch völlig konträren Frankfurter Allgemeinen (FAZ). Die AZ schlüpfte sogar unter das Dach eines Straubinger Provinzverlages. Bis vor einigen Jahren schien all das völlig unmöglich. Da gehörten beide Blätter noch zu den überregional viel beachteten Zeitungen.

Andere Printprodukte wie die Financial Times Deutschland und der Rheinische Merkur sind inzwischen ganz vom Markt verschwunden. Weitere werden folgen. Zeitungssterben ist kein leeres Wort, sondern Realität im zweiten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts. Rasant nach unten gehen nicht nur die Auflagenzahlen, sondern die Anzeigenumsätze ebenso. Die Boomzeiten der neunziger Jahre, in denen sich die Verlage ihre Redakteure mit üppigen Gehältern noch gegenseitig abjagten, kommen nicht wieder. Heute arbeitet in der Branche auch bei den Gehaltsbudgets Schmalhans als Küchenmeister.

Selbst Erfolgsprodukte verlieren an Zuspruch

Viele Verlage reagieren mit massivem Stellenabbau auf die Krise. Die FAZ, die eben noch ihren früheren Konkurrenten FR künstlich beatmete, streicht bis zu 200 ihrer 900 Arbeitsplätze, 40 davon in der Redaktion. Auch der Verlag Gruner + Jahr, der unter anderem Stern, Brigitte, Geo und Gala herausgibt, reduziert das Personaltableau radikal. Hier gehen 400 von 2.400 Stellen verloren. „Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß sich die Marktbedingungen grundlegend verändert haben“, begründet Julia Jäkel, die Vorstandsvorsitzende des Medienkonzerns, den einschneidenden Schritt. Die 42jährige, die mit dem früheren ARD-Journalisten Ulrich Wickert (71) verheiratet ist, bringt mit diesem einen Satz auf den Punkt, woran fast der gesamte Journalismus krankt. Die Leser laufen in Scharen davon.

Ende September folgte bereits der nächste Paukenschlag: Die Mediengruppe Darmstädter Echo baut mehr als die Hälfte ihrer Arbeitsplätze ab. Lediglich 140 Stellen bleiben erhalten. Derzeit arbeiten für den Verlag noch 400 Menschen. Durch Abzug von Teilzeit, so rechnet die Mediengruppe vor, ergeben sich jedoch tatsächlich nur 300 Vollzeitstellen. Trotz dieser Rabulistik bleibt unter dem Strich, daß die Hessen mehr als jeden zweiten Arbeitsplatz ersatzlos streichen.

Selbst frühere Erfolgsprodukte wie die Bild-Zeitung verlieren massiv an Zuspruch. In den vergangenen 16 Jahren ging die verkaufte Auflage der größten deutschen Zeitung von 4,7 auf 2,4 Millionen Stück zurück – fast eine Halbierung. Und das, obwohl die Zahlen neuerdings nur noch gemeinsam mit denen von Berlins stärkster Boulevardzeitung, der B.Z., erfaßt werden. Der Springer-Verlag legte die Redaktionen aus Kostengründen zusammen. Im eigenen Haus wollte sich das Unternehmen auf einem umkämpften und schrumpfenden Hauptstadt-Markt nicht mehr gegenseitig Konkurrenz machen.

Schließlich gibt es mit dem Berliner Kurier dort noch ein Blatt, das den Boulevard beackert. Auch hier ist die Krise unübersehbar. Von 1998 bis heute sank die verkaufte Auflage von 190.000 auf 100.000. Und beinahe noch symptomatischer für die Zeitungskrise sind in diesem Fall die sich ständig ändernden Eigentumsverhältnisse. Der Berliner Verlag, der neben dem Kurier auch die Berliner Zeitung herausgibt, wechselte seit 2002 viermal den Besitzer.

Aktuell gehört er der Kölner Mediengruppe M. DuMont Schauberg. Dieser Verlag gibt den linksliberalen Kölner Stadt-Anzeiger heraus. Schon vor Jahren schluckte er den traditionell eher konservativen Mitbewerber Kölnische Rundschau. DuMont Schauberg setzt bei diesem Deal auf Synergien. Beide Tageszeitungen haben nun einen ähnlichen Mantel. Auch hier werden die Auflagenzahlen nicht mehr getrennt ausgewiesen, sondern nur noch gemeinsam.

Ähnlich wie in Frankfurt am Main geht auch in der Rhein-Metropole die Zeitungsvielfalt verloren. Die den Lesern gebotene Einfalt verschärft die Abwärtsspirale, denn sie schreckt immer mehr Kunden ab.

Ohnehin habe sich deutschlandweit in fast allen Redaktionen die „Generation G“ durchgesetzt, wie der Direktor bei der Berliner Agentur Scholz & Friends und Kommunikationsmanagements-Dozent Wolfgang Bok im Cicero analysiert hat. Die Abkürzung G benutzt Bok für „Greenpeace, Gender, Gerechtigkeit“. Dieser Journalistentypus sperre sich gegen Pluralität und „unterhöhlt die Pressefreiheit“. Ergebnis: Alle schreiben in eine Richtung und lassen wichtige Informationen weg.

Diese Art der Manipulation trifft in einer Zeit, in der laut Weltbank 84 Prozent der Deutschen das Internet nutzen, auf Alternativen. Die klassischen Medien verlieren ihre Deutungshoheit. Immer mehr Leser wenden sich von der Einseitigkeit ihrer Zeitung ab und flüchten ins weltweite Netz. Hinzu kommt, daß online fast alle Informationen gratis zu haben sind. Die großen Verlage selbst haben diese Kostenlos-Kultur eingeführt und müssen nun erkennen: Auch Stammleser sind zunehmend weniger bereit, für die gedruckte Meinungsmache zu bezahlen.

Interne Querelen lähmen die Redaktionen

Einen eigenen Weg im Kampf gegen die Umsatzkrise geht das Verlagshaus Axel Springer. Der Zeitungsriese verkaufte vieler seiner Traditionstitel. Nicht nur Hörzu, Berliner Morgenpost und Hamburger Abendblatt gehören nun zur Funke Mediengruppe. Dieses Unternehmen wiederum kann nur erfolgreich sein, wenn es die Bezüge der altgedienten Springer-Leute kappt und ebenfalls auf Mitarbeiter verzichtet.

Wie das geht, hat Funke bei seinem Kerngeschäft, der ehemaligen WAZ-Gruppe, vorexerziert: Lokalredaktionen fusionieren, einen Teil der Arbeit erledigen Praktikanten und Billigkräfte. Die zum Verlag gehörende Westfälische Rundschau schaffte sogar ein Novum: Sie kommt ohne jeden eigenen Redakteur aus – was ihr in der Branche den wenig schmeichelhaften Titel „Zombie-Zeitung“ einbrachte. Doch auch dieses journalistisch gruselige Projekt geht nun zu Ende. In der letzten September-Woche schickte Funke die Westfälische Rundschau in die Insolvenz. Immerhin: Dadurch geht kein einziges Festanstellungs-Verhältnis verloren – weil es keines gab.

Drunter und drüber läuft es aber nicht nur bei den Tageszeitungen. Die Nachrichtenmagazine Spiegel, Stern und Focus kämpfen ebenfalls mit einem Leserschwund nie geahnten Ausmaßes (JF 38/14). Sie widerlegen vor allem durch hausgemachte Krisen die These von Medienwissenschaftlern, hintergründig informierende Produkte würden sich trotz Online-Konkurrenz behaupten können. Interne Querelen lähmen jedoch die Redaktionen. Die Chefredakteure wechseln fast im Zwölf-Monats-Rhythmus. Die Folgen sind dramatisch: Focus und Stern verloren in den vergangenen zehn Jahren ein Drittel ihrer Auflage, der Spiegel immerhin 20 Prozent.

Experten sprechen inzwischen davon, daß es bereits in wenigen Jahren auf dem deutschen Markt nur noch wenige Printmedien geben werde. Zu den überlebensfähigen Modellen scheinen sich vor allem die Wochenzeitungen gemausert zu haben. Marktführer Die Zeit hat in den vergangenen fünf Jahren die Auflagen um vier Prozent steigern können. Die Wochenzeitung JUNGE FREIHEIT legte in diesem Zeitraum sogar um mehr als 33 Prozent zu.

Für den Verleger und Zeitungspatriarchen Alfred Neven DuMont ist jedenfalls klar, daß mittlerweile nicht mehr die Blätter untereinander konkurrieren, sondern mit zwei anderen Gegnern in einem – aus seiner Sicht unfairen – Wettbewerb stehen: mit den gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten einerseits und den großen Internetkonzernen wie Facebook, Google und Twitter. „Alle nagen an unserem Topf“, beklagte der Kölner in der vergangenen Woche beim Jahreskongreß des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) in Berlin. Während die Verleger unter den erschwerten Wettbewerbsbedingungen sich selbst überlassen seien und ihnen bei Übernahmen das Bundeskartellamt zu schaffen mache, so Neven DuMont, profitierten die Sender von ihrer Nähe zur Politik: „Die Streicheleinheiten werden dort verteilt.“

Foto: Warte nur, balde welkst du auch: In wenigen Jahren wird es nur noch wenige Printmedien geben

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