© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/14 / 10. Oktober 2014

Grüße aus Wien
A Nackerta im Hawelka
Carl Gustaf Ströhm

Auf die Frage eines guten Freundes, der mit der Wiener Lebensart noch nicht ganz konform ist, was denn eigentlich wirklich typisch für Wien sei, hätte ich ihn mit einigen Plattheiten abspeisen können.

Doch nur eine einzige bezeichnete ich als urtypisch wienerisch – die Kaffeehauskultur. Wahrscheinlich schoß mir dieser Gedanke durch den Kopf, da wir gerade in so einem typischen Wiener Etablissement saßen. Das Wiener Kaffeehaus ist nicht irgend-ein Lokal, in dem man seinen Kaffee trinkt, sondern vielmehr eine Institution.

Seitdem 1683 die Türken vor Wien abgewehrt wurden, begleitet es die Geschicke und Geschichte unserer Stadt. Doch nur wenige genießen einen gewissen Kultstatus – eines davon ist das in der Wiener Innenstadt gelegene Kaffeehaus Leopold Hawelka.

Jö schau – selbst den Wiener Kaffeehäusern fällt die Moderne auf den Kopf.

Beim „oiden Hawelka“ trafen sich vor allem in den 1960ern die intellektuellen Größen und die kulturelle Crème de la crème Österreichs. Von Georg Danzer, dem berühmten Austropopper besungen, summt es aan jeda das Lied „Jö schau ... a Nackerter im Hawelka“ vor sich hin, sobald er das Café betritt. Doch statt eines Kaffees gönnten wir uns erst einmal ein kühles Bier – denn Kaffeehaus ist nicht gleich Kaffeehaus.

Sogleich erörterten wir die Frage, was denn die Wiener Kaffeehauskultur so ausmacht und warum für den Wiener seine „Kaffeetscherl“ so wichtig ist? Nach Ansicht des legendären Wiener Literaten Alfred Polgar sitzen im Kaffehaus Menschen, die alleine sein wollen, aber dazu Gesellschaft brauchen. Doch bei näherer Betrachtung kommen wir zum Schluß, daß gerade die Kultcafés in einer tiefen Sinnkrise stecken. Nicht nur daß im Hawelka, einem typischen historischen Raucherlokal, im inneren des Cafés nicht mehr geraucht werden darf, was wiederum jedweden intellektuellen Flair nimmt.

Vielmehr fehlen jene typischen „Gesichter“, die man sonst früher im Kaffeehaus antraf. Der alte, runtergekommene Künstler, der distanzierte Politiker oder der interessierte Universitätsprofessor. Georg Danzers „Jö schau – a Nackerter im Hawelka“ beschrieb diese sonderbare und verrückte Zeit, als solche Gegebenheiten Normalität waren.

Jetzt erscheint es so, daß Kaffeehäuser wie das Hawelka oder das Central nur mehr noch eine touristische Attraktion sind, die krampfhaft versuchen, eine längst vergangene Epoche am Leben zu halten.

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