© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/14 / 10. Oktober 2014

Sorge um die eigene Sicherheit
Türkei: Nur mit Grenzgarantien, Flugverbotszonen sowie verstärktem Kampf gegen PKK und Assad will Ankara aktiv gegen IS vorgehen
Marc Zöllner

Das Votum war eindeutig. 298 der 539 Parlamentarier in der Großen Nationalversammlung vergangener Woche stimmten dafür, Teil der Koalition gegen die radikalislamische Terrororganisation Islamischer Staat (IS) werden zu wollen. Persönlich war der im August zum zwölften Präsidenten des Bosporusstaates vereidigte Recep T. Erdoğan vor dem türkischen Parlament erschienen, um die Debatte zu leiten. Entsprechend fiel auch die Abstimmung aus: Die AKP-Mehrheit votierte am Ende für den Gesetzesentwurf Erdoğans, welcher es der Türkei gestattet, innerhalb der nächsten zwölf Monate mit Bodentruppen auf syrischem und irakischem Gebiet zu operieren sowie Drittländern die Nutzung militärischer Anlagen innerhalb der Türkei zu genehmigen.

Bei Angriff des IS setzt Ankara auf Hilfe der Nato

Über zehntausend türkische Soldaten wurden seitdem zusätzlich an der 1.208 Kilometer langen Grenze zu den beiden destabilisierten Nachbarstaaten stationiert und warten nun auf ihre Einsatzbefehle. Ihr künftiger Auftrag ist die Schaffung einer Pufferzone zum Schutz der syrischen Binnenflüchtlinge, aber auch die Errichtung einer Flugverbotszone südlich der Türkei. Denn auch in Ankara, so Erdoğans neues Gesetz, zeigte man sich besorgt über „die rapide wachsende Anzahl terroristischer Elemente in Syrien sowie die Bedrohung durch diese innerhalb des Irak“.

Mit seiner erfolgreichen Abstimmung im türkischen Parlament legte Erdoğan auch gleichzeitig seine Karten auf den Tisch. Mit keiner Silbe nannte der Gesetzestext die Radikalislamisten des Kalifats beim Namen, dafür jedoch einen weit älteren Todfeind: „Die terroristische Gruppe der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) existiert noch immer im Norden Iraks“, ließ Erdoğan als Präambel des Gesetzes verfassen.

Seitdem rattern hinter den Kulissen die Mühlen der Diplomatie. Bereits am Vortag kündigte der seit 15 Jahren auf der Gefängnisinsel Emrali inhaftierte PKK-Chef Abdullah Öcalan das Ende der Friedensgespräche zwischen seinen Separatisten und der Türkei an, sollte letztere ihrer humanitären Verantwortung bezüglich der seit drei Wochen vom IS belagerten kurdischen Grenzstadt Kobane nicht nachkommen.

Mit der Drohung Öcalans im Nacken, die Kämpfe zwischen der PKK und türkischen Sicherheitskräften innerhalb des eigenen Landes wieder aufflammen zu lassen, bemüht sich nun insbesondere der türkische Geheimdienst MIT um Schadensbegrenzung. Am vergangenen Sonntag ließ dieser Salih Muslim, den Vorsitzenden der als moderat, jedoch mit der PKK befreundet geltenden syrisch-kurdischen „Partei der demokratischen Union“ (PYD), zu Krisengesprächen nach Ankara einfliegen.

Mit Verweis auf Kobane empfahlen die Geheimdienste Muslim, sich von Öcalans PKK ab- und stattdessen der Freien Syrischen Armee (FSA) zuzuwenden. Im belagerten Kobane hatte ein Verband der FSA zuletzt gemeinsam mit kurdischen Freiwilligen der Volksschutzeinheit YPK mehrere Vorstöße der radikalen Islamisten auf die Stadt zurückgeschlagen und dabei rund 90 IS-Milizionäre töten können.

Militärische Beihilfe für die PKK oder mit ihr sympathisierende Gruppierungen schließe die Türkei jedoch konsequent aus, ließ der MIT den Widerstandsführer wissen.

„Die Türkei ist besorgt über den diplomatischen und militärischen Auftrieb, welcher der PKK mit ihrem erfolgreichen Kampf gegen den IS zuteil wird“, bestätigte Gonul Tol, Vorsitzende des Washingtoner „Nahost-Instituts für Türkeistudien“, im Interview mit Newsweek. „Die von den USA an die Peschmerga gelieferten Waffen endeten nachweislich in den Händen der PKK. Ankara thematisierte dies in Washington zu verschiedensten Gelegenheiten. Deswegen macht Ankara seine Teilnahme an der US-geführten Koalition von deren Entscheidung abhängig, daß diese neben dem IS hauptsächlich auch die PKK als Ziel erklären wird.“

Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu legte daraufhin in einem Gespräch mit der bekannten CNN-Reporterin Christiane Amanpour noch einen drauf und erklärte, daß Ankara nur dann Bodentruppen nach Syrien schicken würde, wenn es auch gegen die Regierung in Damaskus gehen würde.

Zudem verlangt Davutoğlu eine klare Strategie, die der Türkei nach einem Sieg gegen die Terrormiliz IS die „Sicherheit unserer Grenzen garantiert“. Erst dann sei Ankara bereit, „alles Mögliche zu tun“. Im Falle eines IS-Angriffs auf die Türkei, zeigte sich Verteidigungsminister İsmet Yılmaz zudem gegenüber türkischen Reportern überzeugt, würde die Nato ihrem Mitglied sicher zur Seite stehen.

Foto: Türkischer Armeeposten an der syrischen Grenze: Gut eingegraben beobachten die Soldaten den Kampf zwischen IS und den Kurden in Kobane

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