© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/14 / 10. Oktober 2014

Ästhetische Faszination
Kai Kauffmans Biographie über den ebenso charismatischen wie einflußreichen Lyriker Stefan George lädt zur Rückbesinnung auf das Werk des „Meisters“ ein
Wolfgang Müller

Daß ein 800seitiges Werk über einen Poeten ein außergewöhnlicher Publikumserfolg werden würde, wagte Thomas Karlauf wohl kaum zu hoffen als er 2007 eine Biographie Stefan Georges (1868–1933) veröffentlichte (JF 42/07). Doch ausgerechnet das von ihm bis in intimste Bezirke ausgeleuchtete Leben jenes „Charismatikers“, der wie kein anderer Dichter seiner Generation den aristokratischen Nimbus der Massenverachtung pflegte, erwies sich als überaus marktgängig. Was um so mehr verwundert, weil 2007 eigentlich mit einem Sättigungseffekt zu rechnen gewesen wäre. Denn gleich nach der Wiedervereinigung kam es zu einer Konjunktur der Forschung zum „Meister“ und seinem elitären „Kreis“, der sich die geistige Erneuerung des von kultureller Verderbtheit bedrohten „heiligen Deutschland“ zum Ziel gesetzt hatte. Denn das Deutsche Reich stand, wie man bereits vor 1914 diagnostizierte, in Gefahr, sich nach US-Muster in eine „industrialisierte Nutzsteppe“ (Theodor Lessing) zu verwandeln.

Auch nach Karlaufs „großem Wurf“, wie fast einhellig das Feuilletonlob lautete, blieb das Interesse vital, abzulesen am Zuspruch für Ulrich Raulffs „Kreis ohne Meister“ (JF 41/10), während die 2012 vorgelegte Summa der Forschung, ein dreibändiges Handbuch über „Stefan George und sein Kreis“, gebildete Laien schon deshalb abschreckte, weil es für knapp 500 Euro vom erlesenen Wissenschaftsverlag Walter de Gruyter offeriert wurde.

Es schien dem Bielefelder Literaturwissenschaftler Kai Kauffmann daher wohl an der Zeit, den hier lexikalisch aufbereiteten Ertrag der jüngeren George-Forschung wieder in eine erschwingliche und lesbare Biographie umzumünzen. Ausgangspunkt dafür war seine eigene, 90seitige „biographische Skizze“, die das Handbuch eröffnet. Zu einer Monographie ausgebaut, will sie, in Konkurrenz zu Karlauf, kein neues Bild des Dichters vermitteln. Statt dessen beschränkt sich Kauffmann darauf, die Lebensetappen „kompakter“ und „anschaulicher“ zu schildern sowie „verfestigte Bilder und Deutungen“ auf den Prüfstand zu stellen.

Tatsächlich eignet sich sein übersichtliches, straff erzähltes, die Grundlinien von Leben und Werk markant betonendes George-Porträt besser als das Karlauf-Epos, um auf den Geschmack zu kommen und sich eingehender mit dieser für die Literatur- und Geistesgeschichte zwischen 1871 und 1945 schwerlich zu überschätzenden Gestalt zu befassen. Zudem ist der Zugriff philologischer, da Kauffmann präziser und intensiver als Karlauf das sprachliche Kunstwerk, bei allem Respekt vor der Autonomie der Dichtung, als autobiographische Quelle nutzt, um die darin verarbeiteten „Seelenkonflikte und Lebensentwürfe“ zu entschlüsseln und zu zeigen, wie sich „das Autorsubjekt in die Werkstrukturen einschreibt“.

Mit der Revision „verfestigter Deutungen“ hat Kauffmann indes weniger Glück. Überzeugend sind hier allein seine Einsprüche gegen die Sensationsmache, die Karlauf wie kurz zuvor Georges US-Biograph Robert E. Norton (2002) bedienen, wenn sie die homoerotische Tönung dieses Männerbundes exponieren und mit detektivischer Lust an Kombination und Spekulation auch Pädophilie im „Kreis“ nicht ausschließen wollen. Kauffmann urteilt dagegen wesentlich nüchterner, wenn er auf das Übergewicht Heterosexueller verweist. Überdies handle es sich auch bei den „Verdachtsfällen“ um Beziehungen mit über 18jährigen, was strafbaren Mißbrauch ausschließe, und realistisch eingeschätzt dürfte die platonische Liebe dem esoterischen Bund am meisten Halt gegeben haben.

Wenn dies auch die einzige scharfe Korrektur bleibt, trägt sie doch wie Kauffmanns Konzentration auf die Lyrik dazu bei, wieder das Werk in den Mittelpunkt des George-Studiums zu rücken. Denn von der ästhetischen Faszination seiner Gedichte, nicht vom Charisma des Dichters, gehe Georges bezwingende Wirkung aus. Darum sei sie nicht mit seiner physischen Präsenz verloschen, sondern lebe bis heute fort, ergreift bis heute Leser.

Kai Kauffmann: Stefan George. Eine Biographie. Wallstein Verlag, Göttingen 2014, gebunden, 252 Seiten, Abbildungen, 24,90 Euro

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