© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/14 / 10. Oktober 2014

Geopolitik leicht gemacht
Putinversteher gegen Atlantiker: Mathias Bröckers und Paul Schreyer bieten zur Ukraine-Krise mehr Subjektives als Analyse
Peter Michael Seidel

In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“ Mit diesem markigen Zitat Egon Bahrs starten Mathias Bröckers und Paul Schreyer im ersten Kapitel ihres neuen Buches „Wir sind die Guten. Ansichten eines Putinverstehers oder wie uns die Medien manipulieren“ in ihre Betrachtung der Ukraine-Krise.

Beide freien Journalisten, von denen Bröckers für die linke Tageszeitung schreibt, sind durch Verkaufserfolge zu Verschwörungstheorien über den Anschlag auf das World Trade Center oder die Ermordung John F. Kennedys bekannt geworden. Ihr neues Ukraine-Buch erhebt allerdings den Anspruch auf „politische Analyse“ und ein „möglichst objektives Erkennen der Lage“. Um es gleich vorwegzunehmen, sie stehen sich dabei selbst im Weg. Dies fängt damit an, daß das Bahr-Zitat nicht belegt und so nicht klar wird, wann („unlängst“) und damit auch in welchem inhaltlichen Zusammenhang der frühere Architekt sozialdemokratischer Ostpolitik sich geäußert hat.

Zum Inhalt: Die Autoren behandeln die kurze Geschichte der Ukraine, das „Great Game“ der Großmächte um Öl und Gas in Zentralasien, den Revolutionsexport als außenpolitische Waffe, Details des Regimewechsels, Personen und Organisationen rund um die Vorgänge in der Ukraine, Leitmedien, Lobbynetzwerke und Propaganda. Wichtigster Schwerpunkt der eingängig geschriebenen Publikation ist die Darstellung des Konflikts insbesondere in den deutschen Medien. Dies ist ein legitimer Schwerpunkt, aber auch hier liegen Information und Übertreibung leider dicht beieinander, so wenn den führenden deutschen außenpolitischen Journalisten Abhängigkeit vom Atlantic Council nachgesagt wird. Trotzdem gehört die Medienschelte mit zu den interessantesten Passagen des ganzen Buches, vor allem angesichts des tatsächlichen Gleichklangs und der beobachteten Einseitigkeit vieler Berichte.

Bedenken gelten für das „wir“ im Titel. Wer ist „wir“? Ist es der Westen, die Nato oder die EU, sind es die USA, allein oder mit bestimmten Verbündeten? Das wechselt, und das ist schade, weil die beiden an einigen Stellen dann doch auf Unterschiede in den europäischen Positionen und auch zur amerikanischen Außenpolitik hindeuten. So bleiben gerade die Unterschiede zwischen Berlin und Washington unterbelichtet, die ja für den deutschen Leser nicht uninteressant wären. Dies ist um so bedauerlicher, weil mit der zitierten außenpolitischen Studie „Neue Macht. Neue Verantwortung. Elemente einer deutschen Außen- und Sicherheitspolitik“ von Stiftung Wissenschaft und Politik und German Marshall Fund von 2013 eine aktuelle Folie zur Verfügung steht, mit der die Vorgänge um die Ukraine an einem eigenen Maßstab hätten überprüft werden können. Die wenigen Bemerkungen dazu überzeugen nicht.

Statt dessen wird die antiamerikanische Klientel mit Bezeichnungen der USA als „größenwahnsinnig“, „größten internationalen Terroristen“, „schießwütigen Verrückten“ oder „imperialen Moloch“ bedient. Dies dient sicher nicht dem legitimen Ziel, „der Öffentlichkeit die machtpolitische Lage auf dem Schachbrett der Geopolitik, die ökonomischen Hintergründe“ zu verdeutlichen, „und vor allem darüber, wann und wo es (für Deutschland) notwendig ist, militärische Verantwortung zu übernehmen“.

Passagen wie diese schwächen das Urteil des Buches allenfalls auf „durchwachsen“. Als ergänzend in der Analyse wären beispielsweise Alexander Rahrs „Rußland gibt Gas“ von 2008 und für aktuelle Einschätzungen John Mearsheimer in der September/Oktober-Ausgabe von Foreign Affairs notwendig. Zu früheren russischen Widerständen gegen die Nato-Osterweiterung hat Heinz Brill 2004 in seinen „Geopolitischen Analysen“ den Präsidenten des Instituts für strategische Analysen in Moskau, Alexander Konowalo, zitiert: „Leider wurden diese Verpflichtungen nicht in die Dokumente (zur deutschen Wiedervereinigung) aufgenommen (sondern nur in Gesprächsprotokolle), was man für einen groben Fehler der Sowjetführung halten kann.(…) Natürlich sind diese Äußerungen keine juristisch verbindlichen Dokumente.“ So wird deutlich, wie sehr Außenpolitik ein Zusammenspiel von Macht und Recht ist. Und natürlich auch von Dichtung und Wahrheit. Brill damals in lakonischer Kürze: „Auffallend ist, daß sich westliche Politiker zu dieser Frage bzw. Problemkreis zurückhalten.“ Dahinter heute die Interessenunterschiede der Beteiligten offenzulegen wäre den Schweiß der Gerechten wert gewesen.

Mathias Bröckers, Paul Schreyer: Wir sind die Guten. Ansichten eines Putinverstehers oder wie uns die Medien manipulieren. Westend Verlag, Frankfurt a. M. 2014, broschiert, 208 Seiten, 16,99 Euro

Foto: Nordlichter: Mitä tuuli kivelle mahtaa (Was kann der Wind dem Stein schon anhaben)

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