© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/14 / 10. Oktober 2014

Die Vereinigung ist immer noch möglich
Der Ostasien-Experte Rüdiger Frank ermöglicht einen zaghaften Blick in das für westliche Beobachter weitgehend abgeschirmte kommunistische Nordkorea
Detlef Kühn

Nordkorea ist in den westlichen Medien recht oft präsent, meistens im Zusammenhang mit seiner Atompolitik. Über die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse in diesem Staat mit einem prinzipiell kommunistischen System haben selbst Fachleute – auch der Geheimdienste – nur wenige verläßliche Informationen. Um so mehr brodelt die Gerüchteküche. Unter diesen Umständen mit dem als sehr gefährlich geltenden nördlichen Teil der koreanischen Halbinsel einigermaßen vernünftige Beziehungen aufzubauen ist nicht nur für das benachbarte Südkorea schwierig, sondern ebenso für andere Staaten, die auch wegen der dort vorhandenen Bodenschätze an Nordkorea interessiert sein könnten.

Ihnen allen möchte Rüdiger Frank zu Hilfe kommen. Der Koreanist und Ost-asien-Experte ist dafür der richtige Mann. 1969 in Leipzig geboren, verbrachte der Sohn eines Atomphysikers mit seinen Eltern einige Jahre in der Sowjetunion. Während seines Studiums in Berlin und Duisburg absolvierte er 1991/92 ein halbes Jahr lang eine Sprachausbildung in der Hauptstadt Nordkoreas, Pjöngjang. Seitdem hatte er immer wieder Gelegenheit, beide Staaten im geteilten Korea zu besuchen und sich wissenschaftlich mit den Problemen dieses seit bald siebzig Jahren geteilten Landes zu beschäftigen. Daß Frank dabei immer wieder auch Vergleiche mit der Lage im geteilten Deutschland und den sozialistischen Systemen in der DDR und der Sowjet-union zieht, macht gerade für Deutsche einen besonderen Reiz dieses gut lesbaren Buches aus.

Frank verhehlt nicht, daß es auch ihm nicht gelungen ist, die Mauer der Abschottung gegenüber Ausländern, mit der das Regime erfolgreich versucht, unerwünschte Kontakte zwischen Nordkoreanern und Besuchern zu verhindern, zu durchbrechen. Dennoch hatte er die Möglichkeit, bei seinen Aufenthalten in Pjöngjang, aber auch bei den stets begleiteten Reisen durch das Land Veränderungen im Verhalten seiner Gesprächspartner und Betreuer sowie im Straßenbild der Hauptstadt und in begrenztem Maße bei den Einkaufsmöglichkeiten der Bevölkerung festzustellen. Sein Fazit: Das Land ist nicht monolithisch. Es gibt erhebliche Unterschiede zwischen den Einwohnern der Hauptstadt, die damit alle schon privilegiert sind, und den Menschen in der Provinz.

Wer dort zum Beispiel in einer der vier Sonderwirtschaftszonen lebt oder arbeitet – und das sind Zigtausende –, hat Kontakt zu Südkoreanern (in Kaesong) oder Ausländern (im Norden vor allem Chinesen), was unter Umständen sogar zum Besitz von Devisen führen kann. Der Besitz von Geld in „harter“ Währung ist nicht verboten. Man kann damit an Mangelware kommen. Die im Sinne des Regimes korrumpierende Wirkung ist dem Autor noch aus eigener Erfahrung in der DDR gut bekannt. Er möchte vor allem seine Leser davor bewahren, die Verhältnisse in Nordkorea, die er nicht etwa verharmlost, nur als böse und schlecht zu betrachten und damit (positive) Veränderungen von vornherein auszuschließen. Die Grautöne, oft historisch begründbar, sind ihm wichtig.

Im Schlußkapitel „Wiedervereinigung. Ein Blick in die Zukunft“ betont Rüdiger Frank die erheblichen Unterschiede zwischen der Situation im geteilten Deutschland 1989 und im heutigen geteilten Korea. In Deutschland hatten sich die beiden Teile der Bevölkerung nie völlig aus den Augen verloren. Das war und ist in Korea nach dem schrecklichen Bürgerkrieg von 1950 bis 1953, der formal bisher nicht beendet wurde, anders. Hier weiß man kaum etwas voneinander, was die Überwindung der Teilung sicher erschweren dürfte. Frank verweist aber auf einen wichtigen Unterschied zu Deutschland: Beide Staaten sind bis heute rechtlich und politisch auf die Wiedervereinigung festgelegt.

Das war 1989 in Deutschland bekanntlich anders, wo die DDR-Führung die Wiedervereinigung schon 1968 aus ihrer Verfassung gestrichen hatte und die politische Elite im Westen ebenso erhebliche Ermüdungserscheinungen aufwies. Rüdiger Frank hält, allen Schwierigkeiten zum Trotz, eine Vereinigung grundsätzlich für möglich und gibt dazu auch praktische Hinweise. Man möchte wünschen, daß sein Buch nicht nur in Deutschland interessierte Leser findet, sondern auch in Korea. Eine Übersetzung ins Koreanische könnte sich lohnen.

Rüdiger Frank: Nordkorea. Innenansichten eines totalen Staates. DVA, München 2014, gebunden, 428 Seiten, Abbildungen, 19,99 Euro

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