© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/14 / 17. Oktober 2014

Drei für Wowereit
Berlin: SPD-Mitglieder stimmen über den neuen Regierenden Bürgermeister ab
Lion Edler

An diesem Freitag um Mitternacht könnte der kommende Regierende Bürgermeister von Berlin feststehen. Bis dahin können die SPD-Mitglieder ihre Stimmzettel einreichen, um per Mitgliedervotum einen Nachfolger für Klaus Wowereit zu bestimmen, der für den 11. Dezember seinen Rücktritt angekündigt hat. Am Sonnabend soll das Ergebnis feststehen. Die Kandidaten: Bausenator Michael Müller, Fraktionschef Raed Saleh und der Landesvorsitzende Jan Stöß.

Daß erstmals die SPD-Basis über die Personalie abstimmt, stößt auf Kritik. Warum, so wird in Berlin gefragt, entscheiden nicht alle Wahlberechtigten anstelle der rund 17.100 Berliner SPD-Mitglieder über den neuen Bürgermeister? Das Prozedere sei ohnehin nur eine Casting-Show in einem Erbfolgeprozeß, ätzt der Berliner Linken-Fraktionschef Udo Wolf im RBB: „Der sinnvolle Weg ist, daß man Neuwahlen hat und auf der Grundlage einer politischen Programmatik und eines Personalkonzeptes die Bürgerinnen und Bürger entscheiden läßt, wie das Parlament zusammengesetzt ist.“

„Die SPD zwingt Berlin ihren Machtkampf auf“

Auch Grünen-Fraktionschefin Ramona Pop findet, Beteiligung sei zwar „immer schön und gut, aber Beteiligung soll dann für alle gelten“. Die CDU kritisiert die Befragung indessen aus anderen Gründen. „Die SPD zwingt Berlin ihren Machtkampf auf“, schimpfte der stellvertretende CDU-Landesvorsitzende Frank Steffel in der taz. Daß Kandidat Stöß ein 100-Tage-Programm für den Fall seiner Wahl vorgestellt habe, sei nicht hinzunehmen, es gebe schließlich einen Koalitionsvertrag.

An politischen Herausforderungen wird es dem Gewinner des Mitgliederentscheids jedenfalls nicht mangeln: Die deutsche Hauptstadt ächzt unter einer Schuldenlast von rund 60 Milliarden Euro und liegt in der Pro-Kopf-Verschuldung knapp hinter der amerikanischen Pleitemetropole Detroit. Die Arbeitslosenquote beträgt 10,8 Prozent, die Behörden kapitulieren vor Kriminalität und rechtsfreien Zonen, der öffentliche Raum ist verwahrlost.

Doch um solche Themen drehten sich die vier Wahlveranstaltungen der SPD, bei denen sich die Kandidaten in den vergangenen Wochen vorstellen konnten, kaum. Trotz der astronomischen Verschuldung lieferten sich Müller, Stöß und Saleh einen Überbietungswettbewerb für soziale Wohltaten: Müller forderte den Ausbau von Kindertagesstätten sowie mehr Personal für die Bürgerämter, eine bessere Unterstützung von Schulen und eine Übernahmegarantie für Auszubildende im öffentlichen Dienst. Stöß will mit einem „Zukunftsinvestitionsprogramm“ jährlich rund 5.000 anstatt bisher 1.000 Wohnungen staatlich fördern, um bezahlbare Mieten zu gewährleisten. Außerdem verspricht er mehr Radwege, damit Berlin „eine Stadt der Fahrradfahrerinnen und Fahrradfahrer“ werde. Saleh will „Kreative“ besser fördern und kostenlose Museumsbesuche für Berliner Kinder, um „Kulturleidenschaft“ zu wecken.

Neben den sozialen Wohltaten durften natürlich auch politisch korrekte Themen nicht fehlen: „Was hat Klaus nicht alles erreicht für dieses tolerante, weltoffene Berlin“ (Müller), „Wir dürfen in Berlin kein Kind zurücklassen“ (Saleh), „In Berlin darf Antisemitismus, darf Rechtsradikalismus, dürfen Nazis und Rechtspopulisten keinen Raum haben“ (Stöß).

Ein paar Seitenhiebe gegen die Berliner Verhältnisse wurden dann aber doch noch eingestreut. So grenzte sich Stöß bei der Kandidatenvorstellung bewußt von einem berüchtigten Wowereit-Ausspruch ab: „Armut ist eben nicht sexy!“ betonte Stöß unter dem Applaus des Publikums. Und Konkurrent Saleh provozierte mit der Feststellung, daß Falschparken zwar verboten sei, „aber wenn man Kinder vor dem Fernseher parkt, passiert nichts“. Diese Bemerkung brachte Saleh von Spiegel Online den Vorwurf ein, er irritiere „mit Hardliner-Ansichten“. Ausführlicher als politische Inhalte wurde allerdings von den Hauptstadtmedien berichtet, daß Berlin mit Saleh erstmals einen muslimischen Bürgermeister hätte.

Beobachter sehen Müller in Front

Saleh, der als Fünfjähriger aus dem Westjordanland nach Berlin kam, reiste 2012 zusammen mit dem Neuköllner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (ebenfalls SPD) nach Rotterdam, um sich über die Integrationspolitik zu informieren. Buschkowsky hatte sich daher zunächst für Saleh als Wowereit-Nachfolger ausgesprochen, um dann allerdings zu Müller zu wechseln, nachdem dieser als Letzter in den Ring stieg. Womöglich hatte der erfahrene Buschkowsky damit den richtigen Riecher. Beobachter sahen kurz vor Ende des Mitgliedervotums Müller in der Gunst der Genossen vorn. Fraglich ist indes, ob es für die erforderliche absolute Mehrheit reicht.

Sollte sich die Berliner Politik beim nächsten Mal doch für eine Direktwahl des Bürgermeisters entschließen, sind die Hürden übrigens hoch. Denn Abschnitt IV, Artikel 56 der Berliner Verfassung regelt unmißverständlich: „Der Regierende Bürgermeister wird mit der Mehrheit der Mitglieder des Abgeordnetenhauses gewählt.“ Als Stadtstaat verfügt Berlin über einen Regierungschef, der quasi Bürgermeister und Ministerpräsident in einem ist – und Ministerpräsidenten werden eben nicht direkt gewählt. Für eine Änderung der Verfassung, die die Direktwahl des Bürgermeisters ermöglichen würde, müßten mindestens zwei Drittel der Mitglieder des Abgeordnetenhauses zustimmen.

Foto: Kandidaten Michael Müller, Raed Saleh und Jan Stöß (v.l.n.r.): „Armut ist eben nicht sexy“

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