© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/14 / 17. Oktober 2014

Der Wunsch, den eigenen Tod zu kontrollieren
Bundestag: Die Parteien ringen fraktionsübergreifend um eine mehrheitsfähige Position zur Sterbehilfe
Gerhard Vierfuss

Die gesetzliche Neuregelung der Sterbehilfe geht in eine neue Runde. Bereits die schwarz-gelbe Koalition hatte sich an dem Thema versucht, war jedoch an internen Zwistigkeiten gescheitert. Daraus hat die Große Koalition die Lehre gezogen, von der Vorlage eines Regierungsentwurfs abzusehen. Statt dessen wird es voraussichtlich mehrere, zum Teil fraktionsübergreifende Gruppenanträge geben. Denn Kritiker, etwa aus den Kirchen, warnen immer wieder vor einem Dammbruch bei der Sterbehilfe, die durch eine Gesetzesänderung außer Kontrolle geraten könne.

Eine erste grundsätzliche Debatte im Bundestag ist für den 13. November geplant. Es geht derzeit ausschließlich um die rechtliche Bewertung der Hilfeleistung bei einem freiverantwortlichen Suizid. Das ist weitgehend unumstritten. Dennoch ist es notwendig, dies zu betonen, da durch teilweise mißverständliche Formulierungen, abweichende gesetzliche Regelungen im Ausland und weitergehende Wünsche in Teilen der Bevölkerung Unklarheit darüber aufkommen könnte. Nach dem in Deutschland geltenden Recht ist die Selbsttötung nicht verboten; daraus folgt entsprechend den strafrechtlichen Grundsätzen, daß auch die Hilfe zur Selbsttötung erlaubt ist.

Dies gilt für jede Art von Hilfeleistung, also auch die organisierte und gewerbsmäßige, vorausgesetzt, die Herrschaft über das Geschehen bleibt bei dem Sterbewilligen, er also trifft die letzte Entscheidung. Und es gilt auch für den behandelnden Arzt.

Problem der kommerziellen Sterbehelfer

Dieser macht sich nach dem geltenden Recht nicht strafbar, wenn er einem Patienten beim Freitod hilft. Allerdings gilt für Ärzte neben dem allgemeinen Recht auch ärztliches Standesrecht, und dieses ist innerhalb Deutschlands uneinheitlich: Die meisten Landesärztekammern untersagen die Suizidhilfe, einige überlassen die Entscheidung dem einzelnen Arzt.

Diese beiden Punkte – Suizidhilfe durch Organisationen wie Dignitas oder Exit und die zwiespältige Situation der Ärzte – stehen im Zentrum der Konzeptionen, die in den vergangenen Wochen an die Öffentlichkeit gelangt sind. Den rigidesten Standpunkt nehmen Gesundheitsminister Hermann Gröhe und Unions-Fraktionschef Volker Kauder (beide CDU) ein: Sie fordern ein strafrechtliches Verbot jeder organisierten Suizidhilfe, worunter sie ausdrücklich auch die ärztliche verstehen. Weniger weit geht ein Vorschlag der stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden Eva Högl und ihrer Kollegin Kerstin Griese, die ebenfalls organisierte Hilfe zur Selbsttötung verbieten, den einzelnen behandelnden Arzt aber von diesem Verbot ausnehmen wollen. Ähnlich haben sich auch die beiden Grünen-Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg und Harald Terpe positioniert.

Ganz anders die Herangehensweise von Bundestagsvizepräsident Peter Hintze (CDU) und den stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden Carola Reimann und Karl Lauterbach (SPD): Sie wollen das Strafrecht unverändert lassen und statt dessen das Bürgerliche Gesetzbuch ergänzen. Im Umkreis der dortigen Regelung der Patientenverfügung wollen sie einen Paragraphen einfügen, der es Ärzten erlaubt, Patienten mit unheilbarer organischer Erkrankung Hilfe beim Suizid zu leisten. Das berufsständische Verbot würde dadurch unwirksam. Auf diese Weise, so die Überlegung, würden die Sterbehilfeorganisationen und sonstigen kommerziellen Sterbehelfer überflüssig werden.

Ausführliche Beratungsgespräche

Keiner dieser Vorschläge liegt bisher in ausgearbeiteter Form vor. Einen fertigen Gesetzesentwurf zur Suizidhilfe präsentierte hingegen eine Gruppe von Hochschullehrern. Die Autoren sind Gian Domenico Borasio, Palliativmediziner an der Universität Lausanne, der Münchner Medizinethiker Ralf J. Jox, der stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Jochen Taupitz, sowie der Tübinger Medizinethiker Urban Wiesing. Ihr Entwurf liest sich wie der Versuch, zwischen den Positionen von Högl/Griese und Scharfenberg/Terpe zu vermitteln. Er sieht vor, in das Strafgesetzbuch einen neuen Paragraphen 217 „Beihilfe zur Selbsttötung“ einzufügen. Darin sollen zunächst die grundsätzliche Strafbarkeit der Suizidhilfe festgeschrieben, davon aber sodann zwei Fallgruppen ausgenommen werden: Angehörige und nahestehende Personen machen sich „nicht strafbar“ durch ihre Hilfeleistung; Ärzte handeln sogar „nicht rechtswidrig“, wenn sie eine Reihe von Bedingungen erfüllen. Hierzu zählen die persönliche Untersuchung des Patienten, ein ausführliches Beratungsgespräch, das auch auf palliativmedizinische Behandlungsmöglichkeiten hinweisen muß.

In ihrer Begründung weisen die Autoren darauf hin, daß auch eine gute palliativmedizinische Versorgung Suizidwünsche nicht völlig beseitigen könne. Denn diese entstünden häufig nicht wegen unerträglicher Schmerzen, sondern aus dem Wunsch, Leiden zu verhindern und die Kontrolle über das Sterben zu bewahren.

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