© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/14 / 17. Oktober 2014

Schlag in die Magengrube
Spanien: Völlig überraschend kassierte Kataloniens Regierungschef die Volksbefragung zur Unabhängigkeit
Michael Ludwig

Die Nachricht schlug in der spanischen Innenpolitik ein wie eine Bombe. Die für den 9. November dieses Jahres vorgesehene Volksbefragung, in der die Katalanen darüber entscheiden sollten, ob sie sich vom spanischen Mutterland lösen und einen eigenen, unabhängigen Staat gründen, wird nun doch nicht stattfinden. Dies kündigte der katalanische Regierungschef Artur Mas völlig überraschend in Barcelona an. Stattdessen schlug er einen „Prozeß der Teilhabe“ vor, der zum gleichen Ziel führen soll, den er aber nicht näher erläuterte. Die Tageszeitung El Mundo nannte ihn reichlich „diffus“.

Linkssozialisten gehen auf die Barrikaden

Mit diesem Schritt steht der katalanische Regierungschef vor den Trümmern seiner Unabhängigkeitspolitik. Noch bis vor wenigen Tagen hatte er – zumindest nach außen hin – eisern an seinem Ziel festgehalten, Katalonien von den spanischen Fesseln zu befreien. Doch die entschlossene Haltung der Madrider Zentralregierung, dies nicht zuzulassen, und das Urteil des Verfassungsgerichts, das die Volksbefragung für illegal erklärte, erwiesen sich letztendlich als zu hohe Hürden. Auch innerhalb Kataloniens wuchs der Widerstand – erst vor ein paar Tagen versammelten sich Zehntausende von Unabhängigkeitsgegnern in Barcelona, um den Gemeinsamkeiten zwischen Spaniern und Katalanen Ausdruck zu verleihen.

Niemand weiß im Augenblick, wie es nun in dieser sowohl politisch bedeutenden wie auch wirtschaftlich wichtigen Provinz weitergehen wird. Sowohl die einflußreiche links-nationalistische Partei Republikanische Linke Kataloniens (ERC) und die ebenfalls im linken Spektrum angesiedelte „Kandidatur der Volkseinheit“ (CUP) erklärten, daß sie den „proceso participativo“ von Artur Mas als Ersatz für die angestrebte Unabhängigkeit keinesfalls mittragen wollen. Der ERC-Vorsitzende Oriol Junqueras, der auch als Abgeordneter im Europäischen Parlament sitzt, betonte, daß nun das katalanische Parlament möglichst schnell eine Unabhängigkeitserklärung verabschieden müsse und sich für einen verfassungsgebenden Prozeß öffnen solle.

Politische Beobachter gehen davon aus, daß es aus dieser politischen Sackgasse nur einen Ausweg gibt – vorgezogene Wahlen. Sollte es tatsächlich dazu kommen, werden sie die aufgeschobene Antwort auf die Frage nach der katalanischen Unabhängigkeit geben. Meinungsumfragen zufolge könnten sie mit einem Desaster für die Regierungspartei von Artur Mas enden, während der auf diesem Gebiet weit radikaleren ERC beträchtliche Erfolge vorausgesagt werden.

Eine weitere, durchaus explosive Unbekannte in dieser unübersichtlichen Gemengelage ist, wie die Bevölkerung mit der neuen Entwicklung umgehen wird. Erst kürzlich hatte die Regierung in Barcelona ihre Sorge darüber geäußert, daß die harte Haltung Madrids den radikalen Nationalisten Auftrieb gebe und Gewalt auf der Straße nicht mehr auszuschließen sei. Die ersten Anzeichen einer Eskalation sind bereits sichtbar: Die radikale nationalistische Linke besetzte in der Innenstand von Barcelona die Plaza de Catalunya und errichtete ein Zeltlager. Außerdem demonstrierte sie in der Nähe des Privathauses der katalanischen Vorsitzenden der konservativen Partido Popular (PP), Alicia Sánchez-Camacho, um sie einzuschüchtern.

Aber es sind nicht nur die extremen Flügel im nordöstlichen Teil Spaniens, die sich nun verraten und verkauft fühlen. Um den breiten Konsens, der in der Bevölkerung in dieser Frage herrscht, aller Welt sichtbar vor Augen zu führen, versammelten sich kürzlich 920 Bürgermeister – das sind 97 Prozent aller Bürgermeister der rebellischen Provinz – zu einem feierlichen und symbolischen Akt. Sie erklärten sich dazu bereit, ihre Rathäuser für die illegal erklärte Volksabstimmung zur Verfügung zu stellen. Daß es nun nicht dazu kommen wird, dürfte für viele von ihnen buchstäblich ein Schlag in die Magengrube sein.

Madrid freut sich über die Kehrtwende

In Madrid hat der Rückzieher von Mas für Erleichterung gesorgt. Der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy nannte die Entscheidungt nicht nur eine „gute Nachricht“, sondern bot weitere Gespräche an. Auf einem Wirtschaftsforum der Tageszeitung Financial Times sagte er: „Wir können über alles sprechen, ich habe den Dialog niemals abgelehnt.“ Die einzige Voraussetzung dafür sei, daß sich die Parteien innerhalb der Grenzen bewegen, die von der Verfassung und den Gesetzen vorgegeben seien. Etwas rauher antworteten seine Kabinettsmitglieder. Einer El Mundo-Blitzumfrage zufolge äußerten sie sich erleichtert darüber, daß der „Unsinn“ und die „Absurdität“ ein Ende gefunden hätten. Sie wiesen darauf hin, daß der Ton des katalanischen Regierungschefs stets herausfordernd gewesen sei und er den spanischen Staat als „Feind“ betrachtet habe.

Noch völlig unklar ist, wie die größte Oppositionspartei des Landes, die sozialistische PSOE, auf die neueste Entwicklung reagieren wird. Ihr katalanischer Flügel fährt einen Schlingerkurs zwischen Unabhängigkeit und Staatserhalt, die Madrider Mutterpartei hat sich diesbezüglich jedoch mit der konservativen Regierung verbündet – eine einseitige Unabhängigkeitserklärung kommt somit auch für sie nicht in Frage. Dennoch gibt es zwischen den beiden großen Parteien unterschiedliche Betrachtungsweisen, wie das Problem gelöst werden könnte – die PSOE spricht sich dafür aus, die Verfassung hin zu mehr Föderalismus zu öffnen, während die PP davor warnt, dies ausgerechnet in diesen turbulenten Zeiten zu versuchen.

Die Wirtschaft kann nun weniger besorgt in die Zukunft blicken. Noch vor kurzem hatten Meldungen für Aufsehen gesorgt, die große Probleme voraussagten, sollte Barcelona den Euro-Raum verlassen. Nach Angaben der Madrider Tageszeitung El Pais versuchen vor allem große Immobilienfonds katalanische Banken dazu zu bewegen, in Verträge Klauseln aufzunehmen, die regeln sollen, was geschieht, wenn Katalonien nicht mehr über den Euro als Währung verfügt. „Viele Unternehmer sind beunruhigt und schieben ihre Investitionen auf, bis sich die Lage geklärt hat“, betonte der Präsident des Verbandes deutschsprachiger Geschäftsleute, Andres Gomez. Eine Abspaltung hätte für die Firmen katastrophale Auswirkungen, denn die Folge wäre der Entzug der EU-Mitgliedschaft.

Der Streit um die Unabhängigkeit zeigt sich auch auf einem Feld, auf dem man es eigentlich nicht vermutet hätte – auf dem der katholischen Kirche. Sechzig katalanische Pfarrer und Diakone bekräftigten dieser Tage in einer gemeinsamen Erklärung, sie seien für den „Prozeß, der zur Unabhängigkeit führt“. Demgegenüber veröffentlichten die Bischöfe einen Text, in dem sie sich für „den Dialog“ und für „Klugheit“ aussprechen, um die Probleme zu lösen.

Foto: Kataloniens Regierungschef Artur Mas im Gespräch mit Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy: Madrid lockte mit Zuckerbrot und Peitsche

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