© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/14 / 17. Oktober 2014

An Nachwuchs mangelt es nicht
Islamischer Staat: Während die Anti-IS-Allianz um die richtige Strategie streitet, verstärkt sich der Zulauf zu den Radikalsunniten
Marc Zöllner

Sie kamen im Dunkeln und hinterließen eine Blutspur: Mit gleich drei aufeinander abgestimmten Selbstmordanschlägen ließen Anhänger der radikalislamischen Miliz Islamischer Staat die irakische Hauptstadt Bagdad erzittern. In Al-Sadr, dem schiitisch dominierten Viertel der Fünfmillionenmetropole, zündeten ihre mit Sprengstoff beladenen Wagen, zerstörten mehrere Kontrollstellen sowie eine Einkaufsstraße und töteten 38 Menschen. Über 70 weitere Einwohner konnten zum Teil nur schwerstverwundet geborgen werden.

Nur einen Tag später ermordeten drei weitere Suizidbomber 58 kurdische Sicherheitskräfte in Qara Tappah, wenige Kilometer nördlich Bagdads. Die Anschläge sollten den Auftakt zu einer der größten Offensiven des Kalifats seit der Belagerung von Kobane bilden – dem Sturm auf die Hauptstadt.

IS-Vormarsch inspiriert junge Muslime Frankreichs

Rund zehntausend Kämpfer hatte der IS dazu mobilisiert, um in einer Blitzoffensive den Flughafen und anschließend die Stadt selbst zu überrollen. Mit dem Einsatz von Apache-Hubschraubern gelang es der US-Armee in letzter Minute, den Vorstoß der Radikalislamisten zu unterbinden.

Doch die Bedrohung durch den Islamischen Staat wächst weiter ununterbrochen. Immer mehr Freiwillige finden sich auf dem vom Kalifat eroberten Gebiet ein, lassen sich an Waffen und in Lazaretten ausbilden. „Wir schätzen, daß der IS zwischen 20.000 und 31.500 Kämpfer in Syrien und im Irak aufbringen kann“, erklärte kürzlich Ryan Trapani, der Pressesprecher des US-Geheimdienstes CIA, in einer Hausmitteilung. Die wenigsten von ihnen stammen jedoch direkt aus dem Zweistromland. Über 15.000 ausländische Dschihadisten, so rechnete Mitte September ein Vertreter der CIA der Nachrichtenagentur AFP vor, hätten mittlerweile ihren Weg in die beiden Krisenländer gefunden; rund 2.000 von ihnen auch aus Europa.

Allein aus Großbritannien sollen sich bereits über 500 Kämpfer auf dem Gebiet des IS aufhalten. Der 25jährige Muhammad Rahman, der einzige Sohn einer Einwandererfamilie aus Bangladesch, war einer von ihnen. Im Sommer vergangenen Jahres verlor er seinen Posten als Vorarbeiter in einem großen Textilkonzern. Einen Monat später, mittellos und ohne Arbeit, entschloß er sich zur Reise nach Syrien. Seitdem bloggte er täglich über sein Leben, seine Träume und seine Ängste als Dschihadist in den Reihen des IS. Seine Tweets bieten den bislang prägnantesten Einblick in den Alltag der Freiwilligen des radikalislamischen Kalifats.

Neben den kampferprobten Stammeskriegern der pakistanischen Taliban, mit welchen sich der IS seit wenigen Wochen zu verbrüdern trachtet, sind es vor allem internetaffine Jugendliche wie Muhammad, die derzeit bevorzugt vom Islamischen Staat angeworben werden. Ihre Erfahrungen und Kontakte in sozialen Netzwerken erlauben den Propagandisten des Kalifats, gerade im Westen ein ganz anderes Bild ihrer Herrschaft zu zeichnen, jenseits der gängigen Medien und frei vom alltäglichen Terror, der Gewalt und dem Blutvergießen durch die Islamisten. „Das syrische Essen ist eine Segnung Allahs“, schrieb Muhammad zuletzt. „Und nach der Arbeit kann man auch ins Fitnesscenter gehen oder abends Spaziergänge machen, wenn die Hitze abgekühlt ist.“ Daß Tweets wie dieser ihre Wirkung nicht verfehlen, beweisen jüngste Studien. In einer Ende August veröffentlichten Umfrage des britischen Meinungsforschungsinstituts ICM Research erklärten in Deutschland immerhin drei Prozent aller Befragten ihre Sympathien für den Islamischen Staat, in Großbritannien bereits sieben Prozent und in Frankreich, der Wahlheimat von rund 5,7 Millionen Moslems, ganze 16 Prozent. Unter den Jugendlichen Frankreichs sympathisierten der Erhebung zufolge sogar 27 Prozent mit dem IS.

Die von den USA geführte Anti-Terror-Koalition befindet sich diesbezüglich in einer Zwickmühle: Mit jeder neuen Siegesmeldung des Kalifats gewinnt der IS an Popularität, lockt weitere Islamisten aus aller Welt an.

USA sehen Saudi-Arabien in der Pflicht

Um die Islamisten militärisch einzudämmen, bedarf es jedoch nicht nur Luftschläge, sondern ebenso den Einsatz von Bodentruppen. Das bislang einzige ernste Angebot zur Entsendung bewaffneter Infanteristen stammt jedoch ausgerechnet von Erik Prince, dem Gründer des Söldnerunternehmens Blackwater.

Nachdem am Montag auch die Türkei erneut Gerüchte um eine Intervention dementierte, klammern sich die Hoffnungen der Vereinigten Staaten nun an Saudi-Arabien. „Das ist nicht nur ein amerikanisches Problem, sondern ein internationales“, erklärte der demokratische US-Senator Bernie Sanders zu Beginn der Woche im Fernsehsender CNN. „Deren Truppen will ich auf dem Boden sehen“, so Sanders weiter. Immerhin habe das autoritäre Königreich den viertgrößten Verteidigungshaushalt weltweit.

Foto: Sympathisanten des Islamischen Staates in Mossul: Nach der „Arbeit“ geht es ins Fitnesscenter

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