© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/14 / 17. Oktober 2014

Pankraz,
H. Blumenberg und das Zuhausebleiben

Eine Lieblingsanekdote des verstorbenen Philosophen Hans Blumenberg handelte vom Propheten Mohammed. Dieser predigte während eines Gastmahls seinem Gastgeber Abdallah Ibn Ubai aus dem Koran und verkündete ihm die neue Lehre. Abdallah jedoch blieb gelassen und sagte: „Es gibt nichts Schöneres, als was du da erzählst, vorausgesetzt, daß es wahr ist. Setz dich deshalb in deinem Hause hin, und wenn einer zu dir kommt, dann erzähl es ihm! Aber den, der nicht zu dir kommt, brauchst du nicht damit zu belästigen.“

Blumenberg kommentierte das voller Zustimmung. „Selbst die Wahrheit würde nicht rechtfertigen, zu denen zu gehen, die nicht von selbst gekommen sind“, schrieb er einmal, wenn sich Pankraz recht erinnert, in einem Heft der Kulturzeitschrift Akzente. „Warum sollte es nicht solche geben, die sie nicht hören wollen? Sollte man sie behelligen, indem man sein Haus verläßt und ihres heimsucht?“ Das war zweifellos kühn gesprochen, stellte es sich doch offen quer zum realen Verlauf der Geistesgeschichte.

Die Schöpfer der großen Weltreligionen hielt es bekanntlich nicht zu Hause. Christus war ein typischer Wanderprediger, Mohammed gar missionierte mit Feuer und Schwert, und noch der stationärste unter ihnen, Gautama Buddha, nannte die missionierende Lehre eine „edle Arznei, die alles Leid und alle bösen Dinge heraustreibt“. Ungebrochen herrschte das Pathos der aktiven Bekehrung, das dann ja auch gewaltige Veränderungskräfte freigesetzt hat. Ohne religionsstiftende „Hausbesuche“, ohne Heidenmission, Kreuzzüge und Heiligen Krieg (Dschihad) wäre die moderne Welt nie entstanden.

Die „Bekehrung“ trieb ganze Völker auf Wanderschaft, unterwarf ganze Kontinente einem einheitlichen Willen, schrieb die politische Landkarte vieler Jahrhunderte völlig neu. Und selbst jene Bewegungen, die mit alledem angeblich Schluß machen wollten, „Aufklärung“ und Säkularisierung, konnten und wollten auf Hausbesuche nicht verzichten, nur lief es gerade bei denen (man denke an 1789 oder 1917) häufig darauf hinaus, daß ins Haus einfach gewaltsam eingebrochen und die Hausbesitzer nicht missioniert, sondern ohne Wenn und Aber unter die Guillotine oder in den Genickschußkeller geschleppt wurden.

Trotzdem darf man sich natürlich fragen, was einen so erlauchten Nachdenker wie Blumenberg so unverbrüchlich an seinem Lob des Zuhausebleibens speziell in religiösen und weltanschaulichen Fragen festhalten ließ. Hausbesuche von Missionaren gibt es ja fast gar nicht mehr; wir sind eher peinlich berührt, wenn doch einmal etwa ein Zeuge Jehovas am Haustor klingelt und uns Auge in Auge mit edlen Wahrheiten bekanntmachen will. Ist es nicht unser verfassungsmäßig verbürgtes Recht, wenigstens zu Hause von Proselytenmachern in Ruhe gelassen zu werden?

Ohnehin ist es immer die beste Mission gewesen, wenn der andere nicht in seinem Haus „behelligt“, sondern daraus hervorgelockt und ins Haus des Lehrenden gezogen wurde. Buddha predigte unter einem Banyanbaum mit mächtig ausgreifendem Geäst. Natur und Wort waren bei ihm eins, und seine Anhänger fanden sich wie von selbst ein, nachdem die Nachricht sich einigermaßen herumgesprochen hatte. Und auch bei Jesus überwiegt die Rhetorik des „Kommet her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid“; sie ist dem „Gehet hin in alle Welt“ eindeutig übergeordnet.

Wie sagt Abdallah Ibn Ubai in Blumenbergs Mohammed-Anekdote? „Es gibt nichts Schöneres, als was du da erzählst, wenn es wahr ist, aber bleib zu Hause!“ Als wahrhaft Weiser hätte er hinzufügen können: „Denn das Licht der Wahrheit kann gar nicht zu Hause bleiben, und sofern du wahr sprichst, werden die anderen wie von selbst zu dir kommen.“ Mohammed seinerseits beharrte auf „Hausbesuch“, den Anderen direkt am Kragen packen, ihn vor die Alternative „Glaub oder stirb!“ stellen. Dieser (um es so zu sagen) mangelnde Respekt vor Gastgebern wirkt bis heute fort und gebärdet sich immer schlimmer.

Wenn sich im internationalen Umgang und Geistesleben unbedingt etwas ändern muß, dann das Beharren der Muslime auf der Parole „Glaub oder stirb!“ Vorerst ist leider nicht mit einer ehrlichen Revision zu rechnen. Bezeichnend die Stellungnahme Tariq Ramadans, des hochangesehenen, im ganzen Islam einflußreichen Religionsgelehrten aus Genf. Ramadan gilt als liberal, doch seine letzten Äußerungen zum Thema „Haus des Krieges“ klangen übel.

Grundsätzlich erkennt der Islam nur voll durchislamisierte Länder als „Häuser des Friedens“ (dar al-islam) an, in denen der Gläubige sich ordentlich zu verhalten hat. Jedes andere Land ist „Haus des Krieges“ (dar al-harb), und der Gläubige bewegt sich darin wie eben in Kriegsland, vorsichtig und taktisch, ohne die geringste Loyalität gegenüber den örtlichen Gewalten. Alle Welt erwartete nun, daß Tariq Ramadan als führender Verfechter des Euro-Islam zur Abschaffung der Doktrin „dar al-harb“ wenigstens für Europa aufrufen würde. Doch was geschah?

„Nein“, verlautbarte der Meister, die Doktrin „dar al-harb“ dürfe man natürlich nicht abschaffen. Man könne jedoch das „dar al-harb“ umbenennen, und zwar in „dar asch-schahada“, „Haus des Glaubensbekenntnisses“. In Europa herrsche weitgehend Glaubensfreiheit, und das sei eine gute Chance, mit Geld aus reichen Ölländern viele Moscheen in allen großen und kleinen Gemeinden Europas zu errichten. Dar asch-schahada!

Darauf läßt sich nur mit Hans Blumenbergs Gastgeber Abdallah Ibn Ubai erwidern: Wer mich besucht, mir schöne Geschichten erzählt und dabei bewußt die Unwahrheit sagt, der ist in meinem Haus nicht willkommen. Dort, wo man zu Hause ist, muß Wahrheit sein. Wenn jemand mein Gastrecht in Anspruch nimmt, um mir stattdessen Lügen aufzutischen, der hat offenbar kein eigenes Zuhause. So mag er bedauernswert sein, aber man muß sich vor ihm in acht nehmen.

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