© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/14 / 17. Oktober 2014

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Die Kritik des ehemaligen Fernsehjournalisten Sven Kuntze an der „schamlosen Generation“, den „40ern“, also den in den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts Geborenen, geht in einem entscheidenden Punkt an der Sache vorbei. Ihnen, also faktisch den Achtundsechzigern, fehlt es nicht nur an „Ehrfurcht und Pflichtgefühl gegenüber Kindern und Enkeln“, sondern mehr noch an Pietät und Respekt gegenüber den Vorfahren.

Die gegenwärtigen Konflikte von Kurden und Salafisten, Jesiden und Moslems erinnern den Verfasser an das Ende seiner Kooperation mit der Adenauer-Stiftung in den 1990er Jahren: Man fand seine Anschauung ganz unerträglich, daß religiöse Bürgerkriege in Europa bevorstünden und sich ethnische Brückenköpfe gebildet hätten, deren Gefährlichkeit unterschätzt werde.

Stilfragen: Beim ökumenischen Festgottesdienst zum Tag der Einheit sah man die katholische und die orthodoxe Geistlichkeit im Ornat, die Evangelischen immerhin mit Talar samt Beffchen und Stehkragen, und dann der Auftritt einer Frauenperson als Lektorin in Grobgestricktem und Beinkleidern, die fatal an Nietenhosen erinnerten. Das, wird man sagen müssen, macht uns keiner nach.

Man muß wirklich hoffen, daß die „Stellvertreterkriege“ auf Deutschlands Straßen nicht so schnell enden. Die historische Erfahrung lehrt, daß Michel nur aufwacht, wenn der Lärm ohrenbetäubend wird.

An den Indiskretionen eines Journalisten über die Äußerungen des Altkanzlers zu seiner Entourage ist doch am interessantesten die über die fehlenden Tischmanieren der Kanzlerin. Derlei rundet das Bild ab.

Daß einer der Führer der Opposition in Hongkong, Joshua Wong, aus christlichem Elternhaus stammt, ist selbstverständlich kein Zufall.

Die Ankündigung Schäubles, die AfD mit allen Mitteln zu bekämpfen, sollte man sehr ernst nehmen. Die Physiognomie des Mannes ähnelt sich je länger je mehr derjenigen Machiavellis an.

Bildungsbericht in loser Folge LXV: Die umfassende Aufarbeitung des Mißbrauchskandals an der Odenwaldschule hat auch folgendes bestätigt: 1) das unbegründete Selbstbewußtsein der Progressiven und dessen verheerende Folgen, 2) die Unwiderstehlichkeit des Zeitgeistes auch im Fall derer, bei denen man eine tiefe Verankerung in „ewigen Werten“ hätte vermuten dürfen, 3) die Tatsache, daß mit der Union schon in den siebziger Jahren nichts mehr los war.

„In den Schubladen der Ministerien lagen keinerlei Pläne für die Wiedervereinigung.“ (Thomas de Maizière)

Ein Unterschied zwischen al-Qaida und dem Islamischen Staat liegt darin, daß erstere im Grunde stets nach dem Zellenprinzip arbeitet, während letzterer darangeht, sich territorial zu verankern. Beiden gemeinsam ist aber die panislamische Tendenz, das heißt die Fähigkeit, Muslime aus allen Regionen Asiens, Afrikas und Europas an sich zu binden, ganz gleich welcher staatlichen oder kulturellen Herkunft. Dieses Potential wohnte der Religion Mohammeds von Anfang an inne und war immer stärker als der Universalismus des Christentums. Ein Sachverhalt, der mit erklärt, warum der Nationalismus des Orients aufgepfropft wirkt und rasch in Bewegungen wie den Panturkismus oder Panarabismus überzugehen neigt, die die nationalen Grenzen sprengten, oder zurückfällt auf die religiöse Basis.

Zur aktuellen Debatte über die Pubertät: „Unausgeglichen wie die langbeinig-kleinrumpfig-großhändigen Körperproportionen sind auch noch die strukturellen Strebungen im Psychischen, und bei seiner Labilität und Unsicherheit weiß der Halbwüchsige ebensowenig seine linkisch-sparrigen Glieder wie sein neues Erleben um Ich und Wir unterzubringen. Man fühlt sich unverstanden, reagiert mit Zynismus, deckt mit Auftrumpfen und Heimlichkeit zu, was die Erwachsenen ja sowieso nicht verstehen können (…) Unbeherrscht räkeln die einen, kichern die anderen, und beide klagen sich selbst ihr Lebensleid hinter verschlossenen Türen und mit verborgenen Tränen.“ (Egon von Eickstedt, 1963)

Die flächendeckenden Angebote von Literatur, Film und Seminar zum Thema Rechtsextremismus und das völlige Fehlen einer Entsprechung für den Linksextremismus hat wohl auch damit zu tun, daß ersterer jedenfalls unheimlich und skurril, letzterer nur roh und todlangweilig ist.

Die aktuelle Krise der Grünen und die kommende der Union haben dieselbe Ursache: Realitätsverweigerung.

„Festung Europa!“ Ein Wahlkampfslogan, der noch seiner Entdeckung harrt.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 17. Oktober in der JF-Ausgabe 43/14.

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