© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/14 / 17. Oktober 2014

Majestät oder Marketing
Filmporträt: Hinter den Kulissen des Kunsthistorischen Museums Wien
Sebastian Hennig

Der Maria-Theresien-Platz erstrahlt im Glanz eines Wiener Sommers. Der riesige Gebäudekomplex dort ist eine Tempellandschaft für die Künste und Wissenschaften. Die Kamera muß einen langen Schwenk machen, um die ganze Pracht erfassen zu können.

Hinter den Fassaden wird hart an der Instandsetzung und Erhaltung des Vermächtnisses aus der Kaiserzeit gewerkt. Kolonnen von Reinigungskräften strömen durch die Räume. Der Staubpinsel eines Mitarbeiters fährt über das Gemächt des antiken Marmorhelden im Treppenhaus. Inmitten einer gewaltigen Halle schlägt der Bauarbeiter seine Spitzhacke in die glatte Parkettfläche, daß es kracht. Ein anderer reißt derweil mit Schwung lange Bahnen grauer Tapete von den haushohen Wänden. Das staatliche Kunstmuseum wird äußerlich zurückverwandelt in den Zustand einer Kaiserlichen Sammlung.

Johannes Holzhausen beobachtet in seiner filmischen Erkundung „Das große Museum“ die Vorgänge am Kunsthistorischen Museum während der Umgestaltung bis zur Wiedereröffnung. Er schaut einfach zu, ohne zu fragen oder zu kommentieren.

Die Kunstwerke kommen nur als Requisiten von professionellen Hantierungen der Museumsleute ins Bild. Da wird ein Gemälde nach Geziefer durchsucht. Unter dem Binokular kann das Insekt bestimmt werden. Bilder in schweren Prunkrahmen werden vorübergerollt, Mottenfallen kontrolliert, Folie über ein gemaltes Perückengesicht gezogen. Die Restauratorin bügelt Seidenpapier auf die Malschicht eines Bildes. Eine Wand mit Tizian-Gemälden wird gehängt. Ein Restaurator kommt in Bedrängnis und flucht leise, während ihm der Schweiß von der Stirn perlt. Sein Kollege streichelt derweil ungerührt mit dem Ziegenhaarpinsel einen hölzernen Putto. Am Ende einer unermeßlichen Raumflucht, vorbei an den Malereien von Rubens, wird ein Bodenstaubsauger über die Steinintarsien geschoben.

Die Generaldirektorin Sabine Haag führt Neil MacGregor, ihren Kollegen vom British Museum, über die Baustelle. Der zeigt sich fasziniert von der programmatischen Innenarchitektur und stellt fest: In seinem Museum gäbe es keinen Raum, dessen äußere Gestaltung in einem so direkten Verhältnis zu seinem Inhalt stehe. „That’s Vienna!“

Der steife Brite ist dem österreichischen Charme erlegen. Um die Raumfolge zu preisen, bedient er sich des deutschen Worts „This Flucht is amazing.“ Das Englisch seiner Gastgeberin färbt ein geschmeidiger Akzent. Sie erzählt von der zeitgemäßen Verdunklung der Museen, die nun auch in Wien einziehen wird: gerichtete LED-Lampen in den Vitrinen und sonst nur sehr wenig Licht.

Mit weißen Handschuhen hebt ein Mann die Rudolfinische Kaiserkrone aus ihrer Vitrine. Knappe rasche Anweisungen werden ausgetauscht. Das Innere des Kleinods soll erkundet werden. Dabei darf es keinesfalls auf der Perlenreihe am unteren Reif aufsitzen. Der Lampenstrahl dringt in jene Höhlung, die dem Haupt des Herrschers bestimmt war. Zwei weitere Mitarbeiter verneigen sich, doch nicht aus Ehrfurcht vor dem Hoheitszeichen, sondern nur um es auszuspähen.

Der Habitus der Kustoden ist nicht weniger sprechend als die Ikonographie der Museumsbilder. Ein Mitarbeiter saust auf einem Aluminiumroller durch Zimmerfluchten an dunkelbraunen Schränken mit wuchtigen Profilen vorbei. Endlich stoppt er an einem Fotokopierer, um ihm den vergrößerten Ausdruck einer antiken Münze zu entnehmen.

Die permanente Kulturrevolution am Kunsthistorischen Museum erreicht eine neue bizarre Phase. Der Wirtschaftsdirektor spricht vom Eigentümer und Großkunden Republik Österreich. Er vergleicht die unvergleichliche Einrichtung. Diese befände sich in einer Konkurrenz um Zuwendungen mit den Krankenhäusern und im Wettbewerb um die Gunst der Touristen. Als wirtschaftliche Zugmaschine und Publikumsmagnet soll die Schatzkammer dienen. Dafür bekommt sie eigens die Bezeichnung „Kaiserlich“ als Markennamen verpaßt. Angesichts des dauernden Interesses an den Habsburgern meditiert ein Besucherbetreuer darüber, ob er sich als Diener des Kaiserhauses oder als „selbstbewußter Mensch der Gegenwart“ empfindet. Der Kollege gibt zu bedenken: „Das ist aber das Marketing.“

Von der Tradition, die nun in großen Buchstaben prangt, schwinden in der Wirklichkeit die letzten Spuren. Ein Direktor der Rüstkammer wird in den Ruhestand verabschiedet. Christian von Beaufort-Spontin steht noch für das alte Österreich, wenn er in seinem Dienstzimmer behaglich eine Süßigkeit aus dem Fettpapier wickelt, eine Ecke in den Mund schiebt und den Rest auf dem Fensterbrett absetzt. Er zitiert die neuen Leitworte der Öffentlichkeitsarbeit: „stilvoll, souverän, berührend, offen“ und meint schmunzelnd zum jüngeren Kollegen: „Ich glaube, das gilt auch für Zahnpasta.“

Später erscheint hinter der Scheibe eine Krähe und holt sich eine Nuß. Durch unwillkürlich wirkende Wiederholung mancher Motive bildet sich der Kehrreim dieser Filmerzählung. Die Männer im Gefolge des Bundespräsidenten, der durch das Museum geschleust wird, hinterlassen einen mittelmäßigen Eindruck zwischen den Vitrinen mit den Kronjuwelen. Dagegen wirken die leitenden Museumsleute in ihrer Haltung wie erzogen durch den Umgang mit Erstklassigkeit.

Der melancholische Film endet mit einer Kamerafahrt über Breughels Gemälde vom Turmbau zu Babylon.

http://dasgrossemuseum.com

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