© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/14 / 17. Oktober 2014

Die Wiederkehr des Wolfes
Ein Geschenk und eine zweite Chance
Wolfram Bednarski

Jüngste Umfragen belegen, daß wir Deutschen, wenn wir in die Natur gehen, diese am liebsten wild und ungezügelt erleben möchten. So sehr es uns an Urwäldern ermangelt und so scharenreich unsere jungen Menschen heute in die angesagten Innenstädte von Berlin, München und Hamburg drängen, so sehnsüchtig wünschen wir uns die Rückanbindung an die unberührte Natur. Zu dieser Natur gehört aber der „wilde“ Wolf ebenso wie das „zahme“ Eichhörnchen.

Wolf und Mensch eint ein inneres Band, dessen Ursprünge sich im Dunkeln der Geschichtsschreibung verlieren. Unseren Kindern und Enkelkindern lesen wir bis heute Märchen wie „Rotkäppchen“ und „Der Wolf und die sieben Geißlein“ vor. Sie künden davon, wie eng wir – gemessen an der Geschichte unseres Volkes – vor nicht allzu langer Zeit mit Meister Isegrim zusammenlebten. Irgendwie scheint es uns wichtig zu sein, dieses Erbe weiterzugeben, obwohl wir unserem Nachwuchs nicht recht erklären können, wo denn die Wölfe heute sind – und warum sie keine alte Oma fressen, wohl aber kleine Geißlein. Bis zum Jahr 2000 galten Wölfe für 110 Jahre in Deutschland als ausgestorben. Wir sind auf ihre Ausrottung niemals stolz gewesen. Das Denkmal „Zum letzten Wolf“ in Herbern bei Münster verkündet: „Am 19. Januar 1835 wurde hier der letzte Wolf in Westfalen zur Strecke gebracht.“ Es ist ein Gedenkstein, keine Siegessäule. Der Wolf verlor wie viele andere Wildtiere den Verdrängungskampf gegen den Menschen in einem der am dichtesten besiedelten Länder Europas.

Im Zuge der Wiedervereinigung und des demographischen Niedergangs werden in Deutschland wieder Räume frei, die diesen ausgestorbenen, im Verborgenen lebenden Wildtieren offensichtlich ausreichen, sich wieder anzusiedeln. Ganze Landstriche sind in Mitteldeutschland wie ausgestorben. Es überrascht nicht, daß gerade in der Lausitz, aus Polen kommend, eine Wolfsdame die ersten Nachkommen auf bundesdeutschem Boden seit über 100 Jahren zur Welt brachte. Mittlerweile wird der Wolf im bayerischen Spessart ebenso erwartet wie in Baden-Württemberg.

Die Rückkehr Meister Isegrims stößt auf breite gesellschaftliche Zustimmung. Die Einwände dürfen wir darüber nicht vergessen. Hier mischen sich krude Urängste aus unseren Mythen und Märchen um die Unversehrtheit menschlichen Lebens mit den begründeten wirtschaftlichen Sorgen von Landwirten und vor allem von Weideviehhaltern.

Die geschürte Todesangst einerseits entbehrt jeglicher Grundlage. Die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, daß der Wolf keine Gefahr für uns ist: In über 50 Jahren töteten freilebende Wölfe nirgendwo auf der Welt einen Menschen. Dem entspricht auch ihr Jagdverhalten. Größere Rudel – die es in Deutschland nicht gibt – veranstalten durchaus Hetzjagden, aber nur auf Wild und wegen fehlender Erfolgsaussichten und hoher Energieverluste äußerst selten. Die Anpassungsfähigkeit von Wölfen erlaubt ihnen, sich von Aas und Abfällen zu ernähren; freilich gehören krankes Wild und wehrlose Weidetiere zur Beute, wo überhaupt gejagt wird. Hirsche, Rehe, Wildschweine und Hasen werden bevorzugt. Wenn dies Jägern mit der Begründung einer „Bestandskontrolle mangels natürlicher Feinde“ erlaubt ist, warum sollte diese nicht zum Teil von Wölfen übernommen werden?

Wo wirtschaftliche Schäden für Weideviehhalter drohen, ist Hilfe angezeigt. Herdenschutzhunde sind effektiv. Wird Nutzvieh gerissen, sollte dies ein Versicherungsschaden sein, wie es in der Landwirtschaft für andere Schadensur-sachen auch üblich ist.

Wo andererseits wirtschaftliche Schäden für Weideviehhalter drohen, ist Hilfe angezeigt. Einerseits sind Schutzmaßnahmen zu ergreifen, an deren Finanzierung private Vereinigungen ebenso teilhaben könnten wie die öffentliche Hand. Effektiver als Zäune sind hierbei Herdenschutzhunde, deren Züchtung nach vielen Jahrzehnten wieder in Gang kommt. Wird dennoch Nutzvieh gerissen, sollte dies ein Versicherungsschaden sein, wie es in der Landwirtschaft für andere Schadensursachen ebenso üblich ist. Längst erarbeiteten seriöse Tierschutzverbände Masterpläne, die das Wohl der Wölfe ebenso im Blick haben wie Konfliktlagen mit dem Menschen.

Deutschland hat ein Zuwanderungsproblem – der Wolf gehört allerdings nicht dazu. Die Rückkehr des Wolfes ist ein Geschenk und eine zweite Chance, alte Fehler nicht zu wiederholen. Wir könnten dieses Geschenk wie vor über hundert Jahren mit wenigen Abschüssen ausschlagen, wenn es uns nicht gefällt. Aber warum es nicht vorher versuchen?

 

Wolfram Bednarski, Jahrgang 1947, ist gelernter Gärtner. Als langjähriger Weggefährte des ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Herbert Gruhl gründete er gemeinsam mit diesem 1979 die Grünen, später die ÖDP. Er engagiert sich heute in den Vorständen der Herbert-Gruhl-Gesellschaft und der Unabhängigen Ökologen Deutschlands (UÖD).

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