© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/14 / 17. Oktober 2014

Die Wiederkehr des Wolfes
Und die Konsequenzen?
Heiko Hornung

Der Wolf ist ein faszinierendes Wildtier. Wenn ich den Jagdhund an meiner Seite betrachte, dann weiß ich, daß den Jäger mit dem Wolf mehr verbindet als trennt. Jim Brandenburg hat diese Nähe in seinem Buch unter dem Titel „Bruder Wolf“ auf den Punkt gebracht. Diese Verbindung zum Wolf hat allerdings nichts mit der Kuscheltier-Romantik gemein, mit der Isegrim und seine Sippe inzwischen von allen Seiten bedacht wird.

Der Grauhund ist zu einem Symbol, fast würde ich sagen zu einer Ikone für eine intakte Natur geworden, nach der sich vor allem der zunehmend verstädterte Mensch sehnt. Der Wolf: eine Projektionsfläche für irrationale Natursehnsüchte und eine Natur, von der der moderne Mensch schon lange nichts mehr versteht, mit der er nicht mehr umgehen kann und die er nur noch als Landlust-Idyll wahrnimmt. Im siebten Stock einer komfortablen Stadtwohnung läßt sich vor dem TV-Bildschirm der Wolf leicht willkommen heißen. Alles ohne Probleme, ohne Not, ohne Tod.

Wer nur einmal ein Kaninchen besaß und am Ortsrand lebte, wird verstehen, was es für ein Gefühl ist, wenn dieses von Raubwild getötet im Stall liegt. Genauso geht es dem Schäfer, Ziegenbesitzer oder Weideviehhalter, der sich um seine Tiere sorgt.

Deswegen versteht der Mensch, der nicht mehr von oder mit der Natur lebt oder leben muß, nicht, daß man gegen die Anwesenheit des Wolfes auch Vorbehalte haben kann. Im übrigen befürworten nach einer Studie des Bundesamtes für Naturschutz nur 40 Prozent der Bevölkerung vorbehaltlos die Rückkehr der Wölfe. Andere Neubürger wie der Biber erfahren eine viel höhere Zustimmung.

Nur noch ein geringer Teil unserer Gesellschaft hält Haustiere (außer Hund, Katze und Kanarienvogel), lebt mit und von ihnen. Wer nur einmal ein Kaninchen besaß und am Ortsrand lebte, wird verstehen, was es für ein Gefühl ist, wenn dieses morgens von Raubwild getötet im Stall liegt. Genauso geht es dem Schäfer, Ziegenbesitzer oder Weideviehhalter. Es ist nicht nur der materielle Wert, der einen traurig oder gar wütend macht. Wer Tiere draußen hält, sorgt sich um diese. Der Verlust wiegt schwer und läßt sich mit 50 Euro emotional nicht ausgleichen.

Der Jäger spürt die Anwesenheit von Großraubwild durch die Verhaltensänderung „seines“ Wildes. Ich schreibe bewußt „seines“, weil Wild bis zum Zeitpunkt der Erlegung herrenlos ist, aber dem Gefühl nach trotzdem in der Obhut eines Revieres steht, in welchem dem Jäger ein gesunder und vitaler Gesamtbestand am Herzen liegt. Wild wird bei der Nähe des Wolfes vorsichtiger, heimlicher. Die Jagd wird für den Jäger, der unter dem Druck steht, gesetzliche Abschußpläne erfüllen zu müssen, zum Teil schwieriger. Das heißt, noch mehr Zeit aufzuwenden, die man vorher schon nicht hatte.

Manche Wildarten, wie das vor hundert Jahren in Deutschland eingeführte Muffelwild (ein Wildschaf), das in vielen Regionen sorgsam von Jägern gehegt wurde, rottet der Wolf aus. Der Mufflon hat kein rechtes Feindvermeidungsverhalten zum Wolf, weil es in seiner angestammten Heimat Korsika keine Wölfe gab. Er flüchtet eine kurze Distanz, sammelt sich als Rudeltier, nimmt die Jungtiere in die Mitte und sichert nach außen, um die Gefahr zu eräugen – ein tödlicher Fehler, den der Wolf zu nutzen weiß.

Wolfsbefürworter stört es nicht, daß der Muffel verschwindet – Jäger schon. Der Nimrod ist nicht nur der Mann mit dem Gewehr, der möglichst viel Beute machen und deswegen mit dem Wolf nicht teilen will. Es ist das Unbehagen eines Menschen, der sich um Wild sorgt, indem er nicht erträgt, daß Jungwild von Kreiselmähern getötet, von Autos angefahren, von wildernden Hunden gehetzt und sein Lebensraum zerstört oder gestört wird, und der jetzt sehen muß, daß Wölfe diesem Wild nachsetzen und es dezimieren. Der Jäger ist darin dem nutzenden Bauern ähnlich.

Aber er fühlt auch ein anderes Herz in seiner Brust schlagen, das ihm sagt, daß genau das Natur ist. Eine Natur, wie sie der Jäger liebt – intakt und voller faszinierender Wildtiere. Aber wo ist unsere Natur denn wirklich so intakt, daß ein Wolf darin leben kann, ohne daß er gestört, überfahren oder dazu gezwungen wird, sich am Eigentum des Menschen zu vergreifen?

Ich bin mir nicht sicher, ob eine naturentfremdete Gesellschaft, die noch nie mit Großraubwild zusammengelebt hat, wirklich abschätzen kann, was es heißt, sich diesen Lebensraum zu teilen. Der schmerzhafte Lernprozeß kommt erst noch.

 

Heiko Hornung, Jahrgang 1968, ist Chefredakteur der Jagdzeitschrift Wild und Hund. Er studierte Marketing-Kommunikation in Kassel sowie Germanistik, Journalistik und Politik in Bamberg. Hornung arbeitete für verschiedene private Rundfunksender und Tageszeitungen. Bevor er 2001 als Redakteur zu Wild und Hund kam, war Hornung beim Bayerischen Rundfunk für Unternehmenskommunikation zuständig.

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