© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/14 / 17. Oktober 2014

Smarter Lügner im Morgenland
Der deutsche Forscher und Abenteurer Eduard Schnitzer alias Emin Pascha – moralisch fragwürdig, aber immer blütenweiß gekleidet
Konrad Faber

Eduard Schnitzer ist heute in seinem Geburtsland Deutschland, aber auch in seinen Wirkungsstätten in der Türkei und in Afrika kaum noch bekannt, geschweige denn populär. Sein spektakulärer Tod brachte ihm nur einen kurzlebigen Bekanntheitsgrad. Muslimische Sklavenhändler schnitten ihm am 23. oder 24. Oktober 1892 die Gurgel durch, trennten seinen Kopf ab und warfen den Rumpf wilden Tieren zum Fraß vor. Selbst wissenschaftliche Forschungsergebnisse konnten Schnitzers Ruhm nicht dauerhaft begründen. Immerhin tragen zwei afrikanische Vogelarten, der Emin-Sperling (Passer eminibey) und der Schwarzschnabelturako (Tauraco emini), seit mehr als hundert Jahren seinen Namen. Trotz seiner weitestgehend überlieferten afrikanischen Tagebücher und Routenjournale gibt Schnitzer heute noch viele Rätsel über die Motive seines Verhaltens auf, welches öfter moralische Grenzen und hin und wieder sogar die des Strafrechts streifte.

Zur Welt kam Eduard Schnitzer entweder am 28. oder 29. März 1840 im oberschlesischen Oppeln in der Familie eines jüdischen Kaufmanns. Nachdem die verwitwete Mutter einen Nichtjuden heiratete, wurde der kleine Eduard mit sechs Jahren getauft. Es lag also nicht, wie häufig behauptet, an antisemitischer Diskriminierung, wenn der begabte junge Mann nach dem Abitur und einem Medizinstudium an den Universitäten Breslau, Berlin und Königsberg in Preußen nicht Arzt werden konnte.

Schnitzer hatte trotz finanziellen Unterhalts durch seinen Stiefvater hohe Schulden gemacht, sich gegenüber der Familie in Lügen verstrickt und de facto als „Kurpfuscher“ betätigt. Der Medizinstudent behandelte nämlich unerlaubt Kranke und wurde deshalb nicht zum Staatsexamen zugelassen. Statt die Angelegenheit in Ruhe zu klären, reiste Schnitzer 1864 kurz entschlossen in die Türkei, wo man es mit abgelegten Examen nicht so genau nahm.

Hier winkte ihm rasch das Glück, indem er im hohen Verwaltungsbeamten und Militär Divitci Ismail Pascha einen Gönner fand. Auch der Gattin des Türken, einer Deutschen aus Siebenbürgen, kam Schnitzer schnell näher und eine Tochter entsprang der illegitimen Beziehung. Nach dem Tode des Ismail Paschas heiratete oder scheinheiratete Schnitzer die Witwe, verließ sie aber schmählich 1875 unter Mitnahme ihrer Wertsachen. Wieder in Schlesien flieht Schnitzer nach dem fernen Ägypten, um hier als „Emin Pascha“ eine neue Karriere als Verwaltungsbeamter zu starten. In der Türkei zum Islam konvertiert, gab sich Schnitzer jetzt selbst gegenüber Deutschen als gebürtiger Türke und gläubiger Muslim aus, was diese natürlich schnell durchschauten. Als Gouverneur in der formal dem ägyptischen Khediven unterstehenden Äquatorialprovinz südlich des Sudan regierte Emin Pascha zwar milde und bemühte sich, die Segnungen eines geregelten Ackerbaus zur Sicherung der Lebensmittelautarkie einzuführen. Doch seine Herrschaft störte der Ausbruch von Unruhen, erregt durch islamische Fundamentalisten, welche hier ihre Art von Gottesstaat in Form des „Mahdireiches“ errichteten.

Schnitzer mußte vor ihnen flüchten und wurde 1888 durch die Stanley-Expedition gerettet. Danach entschloß er sich, zeitweilig in deutschem Auftrag an der Erweiterung der späteren Kolonie Deutsch-Ostafrika mitzuwirken. Doch seine Handlungen waren, wie schon früher, wenig zielstrebig und endeten mit seiner Ermordung. Mit einheimischen Frauen zeugte Schnitzer in Afrika eine ungeklärte Anzahl von Kindern, wobei über diese Frauen in seinen Tagebüchern dröhnendes Schweigen herrscht. Sein stets gepflegtes, akkurates Auftreten in blütenweißer Tropenuniform sollte wohl manches moralische Manko im Verhalten kaschieren. Christian Kirchen hat zum Leben und Sterben von Eduard Schnitzer viele neue Quellen aufgetan und eine sehr lesenswerte wissenschaftliche Biographie verfaßt.

Christian Kirchen: Emin Pascha. Arzt–Abenteurer–Afrikaforscher. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2014, gebunden, 343 Seiten,
39,90 Euro

Foto: Eduard Schnitzer als türkischer Verwaltungsbeamter, um 1890: Sein Verhalten bleibt rätselhaft

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