© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/14 / 24. Oktober 2014

Ruhe bewahren
Debatte über AfD: Jede Partei durchlebt eine turbulente Gründungsphase
Karlheinz Weissmann

Der Vorgang an sich ist nicht ungewöhnlich: Vergangene Woche hat die FAZ in ihrer Rubrik „Fremde Federn“ einen Beitrag der SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi gebracht. Die Herren in Frankfurt erlauben regelmäßig Außenstehenden – Politikern, Amtsträgern, Wissenschaftlern – solche Stellungnahmen, von denen man sich durch die Plazierung sacht distanziert.

Ungewöhnlich ist aber die Tendenz des Textes bei gleichzeitiger intellektueller Schwäche. Um es kurz und knapp zu sagen, Yasmin Fahimi fordert den Eintritt aller Menschen guten Willens in die antifaschistische Einheitsfront. Die Faschisten, das sind die Mitglieder und Wähler der Alternative für Deutschland (AfD): Demagogen und deren Anhang, Frauen-, Behinderten-, Schwulen- und Fremdenfeinde, Menschenverächter, nur durch eine hauchdünne Linie vom braunen Sumpf getrennt. Mithin: „Die AfD ist eine Gefahr, weil sie das gesellschaftliche Klima in unserem Land vergiftet und das Grundvertrauen zersetzt, auf das wir als modernes Einwanderungsland angewiesen sind.“

Interessant ist nicht nur, daß der Vorgang für ein gewisses Aufsehen sorgte, sondern auch, daß seiner Tendenz im Bereich der etablierten Medien widersprochen werden konnte. Es begann mit einer an derselben Stelle veröffentlichten Replik von Konrad Adam, der als Sprecher der AfD einiges zurechtrücken durfte, und wurde ergänzt um zwei sachliche Beiträge, der erste von Alexander Marguier, stellvertretender Chefredakteur des Cicero, der zweite von Volker Zastrow für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung.

Beide weigerten sich beharrlich, dem alarmistischen Ton zu folgen, den Frau Fahimi vorgegeben hatte, und verteidigten die prinzipielle Legitimität einer bürgerlichen Protestbewegung wie der Alternative für Deutschland. Zastrow ging sogar noch einen Schritt weiter, indem er darauf hinwies, daß es zwar eine graduelle Rechtsverschiebung in der AfD-Programmatik gegeben habe, die aber nicht intendiert war, sondern eine Folge des Zustroms neuer Anhänger. Auch diesen Vorgang brauche niemand zu skandalisieren; es handele sich im Grunde um eine nachvollziehbare Reaktion auf die Leerstelle im Parteienspektrum rechts der Mitte, seitdem die Union den Konservativen kein Angebot mehr machen wolle. Die Entstehung einer Gruppierung in diesem Spektrum sei legitim, könne aber Frau Fahimi schon deshalb nicht gefallen, weil sie die Union aus der Umarmung der Sozialdemokratie befreien würde. Strategische Erwägungen sollte man nicht moralisch drapieren.

Trotz dieser Einschätzung war Zastrows Ausblick auf die Zukunft der AfD skeptisch. Er fürchtet, daß die Partei wie ihre Vorläufer an der drohenden Fragmentierung und der Disziplinlosigkeit der Basis scheitern werde. Wichtiger als das war aber der Hinweis auf die Lauerstellung der Medien, die jede Gelegenheit zur Diskreditierung nutzen würden. An dieser Einschätzung ist sicher nicht zu zweifeln, andererseits darf man darauf hinweisen, daß noch kein Gründungsprozeß einer Partei ohne Konflikte zwischen „Realos“ und „Fundis“ abgegangen ist, ohne programmatische Häutung und die Betätigung des Personalkarussells, ohne individuelle Irrtümer oder kollektive Unterwanderungsversuche, ohne quälende gruppendynamische Prozesse oder persönliche Animositäten.

Nichts davon wird über das Schicksal der Alternative entscheiden. Das hängt vielmehr von der Entwicklung der politischen Gesamtsituation ab, und an die Stelle des düsteren Szenarios, das Zastrow entworfen hat, kann man durchaus ein lichteres setzen. Denn vielleicht wird man das Auftreten der AfD in absehbarer Zeit als ebenso notwendiges wie erwartbares Vorzeichen großer Veränderungen betrachten.

Gemeint ist damit nicht nur der Konjunktureinbruch, der ansteht, oder die Latenz der Euro-Krise, sondern die sukzessive Infragestellung der Lebenslügen, auf denen die Staatsdoktrin in den letzten Jahrzehnten gegründet war: Europa und die Westbindung als definitive Lösung der Deutschen Fragen, der Nationalstaat als Anachronismus, Scheckbuchdiplomatie und Frieden schaffen ohne Waffen, ein Dasein, von Freunden umzingelt, Wirtschaft als Schicksal, der Sozialstaat als Selbstverständlichkeit, Einwanderung als Bereicherung, Konsum als Sedativ, Auschwitz als Gründungsmythos, der Sonderweg als Ursache alles Bösen auf Erden. Nichts davon sollte Bestand haben, und bei den Verteilungskämpfen, die bevorstehen, geht es nicht nur um materielle Ressourcen, sondern auch und gerade um ideelle.

Das ist der Boden, auf dem neue politische Bewegungen entstehen und im Fall einer ihnen günstigen Konjunktur aufsteigen und so lange mutieren, bis sie ihre endgültige Gestalt erreichen. Wenn Yasmin Fahimi etwas von der Geschichte ihrer eigenen Partei verstünde, wäre ihr das klar.

Bedenkt man, in welchen Stufen und Wendungen sich die SPD von einem traurigen und gejagten Häuflein entwurzelter Intellektueller, weltfremder Phantasten, gescheiterter Staatsfeinde und erbitterter Proletarier zu einer modernen Massenpartei gewandelt hat, der man die Regierungsführung zutraute, um dann auf ihr heutiges zahlenmäßiges und geistiges Niveau abzusinken, käme sie wohl ein Gefühl der Demut an. Aber da warten wir vergeblich, denn die Dame „weiß auch sonst nicht viel“ (Konrad Adam).

Wenn es anders wäre, würde sie dem wachsenden Zuspruch für die AfD noch besorgter entgegensehen. Und das mit wesentlich besseren Gründen als denen, die sie vorgetragen hat.

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