© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/14 / 24. Oktober 2014

An der Grenze der Belastbarkeit
Asyl: Städte und Gemeinden sind mit der wachsenden Zahl von Antragstellern zunehmend überfordert
Lion Edler

Wenn es um Empörung über die Asylpolitik von Horst Seehofer (CSU) geht, sind die Grünen in ihrem Element. Für den bayerischen Ministerpräsidenten müsse man sich „selbst als Grüner bundesweit schämen“, schimpfte Bundestagsfraktionschef Anton Hofreiter. Anlaß für die Empörungsrituale ist die Überforderung der bayerischen Flüchtlingsunterkünfte mit dem rasant ansteigenden Asylantenstrom. Seehofer selbst gestand Fehler ein, sein Kabinett bildete einen Krisenstab.

Nachdem sich in der Münchner Bayernkaserne (JF 37/14) etwa 2.400 Personen aufhielten, obwohl sie nur für 1.200 angelegt war, mußte in der vergangenen Woche ein Aufnahmestopp verhängt werden. Zunächst herrschte allerdings Verwirrung. Bayerns Sozialministerin Emilia Müller (CSU) hatte dem Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) widersprochen und mitgeteilt, entgegen Reiters Darstellung würden sehr wohl weiterhin Personen in das überfüllte Lager aufgenommen. Seehofer hatte wiederum kurz darauf bekräftigt, die Einrichtung sei für neu eintreffende Asylbewerber gesperrt.

Nun sind sich Müller und Reiter jedoch mit Seehofer einig, daß die Bayernkaserne nicht mehr aufnahmefähig sei. Das wichtigste Ziel sei nunmehr, die in der Bayernkaserne untergebrachten Asylbewerber dezentral oder in einer Gemeinschaftsunterkunft unterzubringen, teilte Müller mit. Die Zeit drängte, denn die Situation in der Bayernkaserne war zwischenzeitlich katastrophal: Es fehlte an ärztlicher Versorgung, an hygienischen Mindeststandards, teilweise auch an Lebensmitteln, an warmer Kleidung und Decken. Bereits im August und September war ein Aufnahmestopp verhängt worden, nachdem mehrere Masernfälle auftraten. Die Politik gibt sich überrumpelt von der ganzen Situation. Nach den bisherigen Prognosen sollte Bayern im Oktober etwa 880 Asylbewerber pro Woche aufnehmen – doch allein in der Woche vor dem Aufnahmestopp kamen 1.910 Personen.

Die Situation in der Bayernkaserne steht dabei nur stellvertretend für die angespannte Lage im ganzen Land. Deutschlandweit sieht es nicht anders aus: 2013 begehrten etwa 100.000 Personen Asyl, 2014 sollten es nach Schätzungen von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sogar rund 200.000 sein. Der Präsident des Deutschen Städtetages, Ulrich Maly (SPD), legt noch etwas drauf und glaubt, daß „nicht 200.000 Flüchtlinge nach Deutschland kommen, sondern daß es eher 220.000 oder 230.000 sein werden“.

Einigkeit herrscht quer durch die Parteien über die Frage, wie das Problem zu lösen ist: nicht durch eine Fokussierung der Leistungen auf die tatsächlich Asylberechtigten, sondern durch mehr Geld. Und zwar vor allem vom Bund. „Es kann nicht sein, daß Länder und Kommunen diese Last alleine tragen“, findet Baden-Württembergs Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne).

Sein bayerischer Kollege Seehofer sieht in dieser Frage einen „großen Konsens“ gegenüber dem Bund. Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, forderte den Bund auf, nicht abgerufene Gelder des Hochwasserhilfsfonds zu verwenden und für Flüchtlinge aus den Krisengebieten einzusetzen.

Sorge um die Akzeptanz der Bevölkerung

Der Ernst der Lage scheint zumindest erkannt. „Um den Herausforderungen drastisch steigender Asyl- und Flüchtlingszahlen gerecht zu werden, bedarf es einer gemeinsamen Kraftanstrengung von Bund, Ländern und Kommunen“, heißt es in einer Erklärung der Innenminister von Bund und Ländern nach einem Sondertreffen zur Flüchtlingspolitik in der vergangenen Woche. Der Bund werde dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mehr Personal zur Verfügung stellen, um die 145.000 derzeit vorliegenden Asylanträge zu beschleunigen. Zuvor hatte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) dies gefordert, da den Ländern „unnötige Unterbringungskosten von vielen Millionen Euro“ durch die „vom Bund zu verantwortenden überlangen Verfahrensdauern“ entstünden.

Angesichts der zugespitzen Lage sorgen sich die Innenminister um die „große Akzeptanz der Bevölkerung“ und wollten aus diesem Grund unter anderem die „bestehenden Ausreisepflichten konsequent“ durchsetzen. Auf ihrem Treffen forderten die Innenminister zudem, Asylanträge von Flüchtlingen „aus den extrem unsicheren Herkunftsländern“ zügig zu bearbeiten.

Am Wochenende sprach Seehofer mit Blick auf Bayern dann immerhin von einer sich entspannenden Situation – auch weil Flüchtlinge in Notquartieren im Münchner Olympiastadion untergebracht wurden. In der Bayernkaserne konnte die Zahl der Asylbewerber von 2.400 auf unter 2.000 reduziert werden. „Schon ein Erfolg“, findet Sozialministerin Emilia Müller.

Foto: Kampierende Flüchtlinge in der Münchner Bayernkaserne: Fehlende ärztliche Versorgung

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