© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/14 / 24. Oktober 2014

Eine Strategie muß her
Google: Fünf Monate nach dem „Recht auf Vergessen“-Urteil wird die Suchmaschine selbst zum Suchenden
Ronald Gläser

Eric Schmidt hat eine Mission. Der Google-Chef will den Ruf der Suchmaschine retten. Deswegen setzt er sich mit allen Kritikern an einen Tisch und redet solange mit ihnen, bis alle Anti-Big-Data-Argumente zumindest vorgetragen – wenn nicht gar ausgeräumt – sind. Schmidt ist mehr als jeder andere Firmenboß der westlichen Welt unterwegs, um den Ruf seines Unternehmens aufzubessern.

Deswegen ist er nach Dallas ins Studio des konservativen Moderators Glenn Beck gefahren. Und deswegen hat er sich mit dem Wikileaks-Gründer Julian Assange getroffen, der sogar ein Buch aus der Begegnung gemacht hat.

Verglichen mit diesen Kritikern ist die Anhörung in der Berliner Kalkscheune eine harmonische Sache: Schmidt trifft auf Leute aus Wirtschaft und Verbänden, die ihm erklären, wie er das Recht auf Vergessen ermöglichen soll. Oder auch nicht.

Verbraucher- und Datenschützer sitzen neben Medienvertretern und Rechtsexperten. Im Schnelldurchlauf tragen sie ihre Bedenken und Bitten vor. Schmidt nimmt die Vorträge ohne eine Miene zu verziehen zur Kenntnis. Rückfragen überläßt er der zu seiner Linken sitzenden Ex-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger („Miss Snarrenbörger – is that right?“).

Auch Wikipedia-Gründer Jimmy Wales ist als Google-Berater anwesend. Beide, Schmidt und Wales, sind sich einig, daß sie das Urteil des Europäischen Gerichtshofs ablehnen. Schmidt sagt: „Wir sind sehr unglücklich darüber.“

Für sein Unternehmen bedeutet das Urteil einen erheblichen Mehraufwand: Google muß jetzt auf Antrag eines Betroffenen einen Link zu einer Seite unterdrücken, wenn dort persönliche Informationen über die Person enthalten sind. In der EU sind bislang die Anträge auf Sperrung von 502.590 Treffern eingegangen. 25.493 Anfragen kamen aus Deutschland. Selbst für einen Milliardenkonzern ist das eine Wahnsinnszahl, da eine Einzelfallentscheidung vorgenommen werden muß.

Der Experte Niko Härting gehört bei dieser Anhörung zur Weder-noch-Fraktion. Der Berliner Anwalt ist einerseits der lautstärkste Kritiker des Urteils, und er begründet dies mit einer Szene aus einer seiner Vorlesungen: „Einmal stand ich vor meinen Studenten und dann platzte mir die Hose. Ich habe nie versucht, das Recht auf Vergessen über diesen für mich peinlichen Vorfall durchzusetzen.“

Google muß das Urteil umsetzen

Wie auch? Ein Recht auf Vergessen gibt es nicht, so Härting. Dies sei eine „Schimäre“. Dennoch rät er Google, das Urteil buchstabengetreu umzusetzen, da sonst neuer Ärger droht. Er wünscht sich eine EU-weite Datenschutzregelung, die das Urteil zumindest ein bißchen neutralisiert.

Denn folgende Fragen sind ungeklärt: Kann Google selbst entscheiden, wer eine öffentliche Person ist (deren Treffer nicht zu löschen wären) oder was von öffentlichem Interesse ist? So brachte eine Expertin folgendes Beispiel: Ein Sportminister sagt in einem Interview, er spiele ungern Schach. Das ist eine absolut private Information. Er könnte es möglicherweise deswegen sperren lassen. Andererseits: Schach wird auch als Sport angesehen, daher könnte die Aussage auch eine politische Dimension haben. Die Abwägung fällt wohl Google zu.

Und dann ist die Frage zu klären, ob es einen Rechtsweg gibt, und wie der beschritten werden kann. Google versucht es so transparent wie möglich zu machen. Im gerade erschienenen Transparenzbericht werden Beispiele aufgeführt, wie sich Google in bestimmten Fällen verhalten hat, also ob der Suchtreffer gelöscht wurde oder nicht.

Der Google-Transparenzbericht www.google.com/transparencyreport/

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